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Die wahre, erzählenswerte Geschichte einer erfolglosen Band

Thema erstellt von Stueps 
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Stueps (Moderator)
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1993
1.
Henry

Billy meckerte, weil alle wieder gesoffen hatten. Oder weiter saufen wollten. Es war lächerlich viel Bier da, was nur am Wochenende der Fall war. In der Woche wurde geprobt. Am Wochenende auch, aber eben mit entsprechend Bier. Da wurde zwar länger geprobt, aber da dauerte ein Titel auch vierundzwanzig bis dreißig Minuten, statt der drei Minuten zwanzig am Dienstag.
Henry war nach dem dritten bis zehnten Bier wieder auf den Sessel geklettert, nur um nachher brustwärts auf den mit Flaschen vollbesetzten Tisch zu knallen, mit der Vorankündigung, er könne sich nicht mehr halten.

Die Gitarre gehorchte Henry blind.
Sein vollkommen betrunkener Finger, mit dem er zeigt, lehrt allen Gitarren dieser Welt das Fürchten; und sie machen, was er will. Er kann sich gern vergreifen, die Gitarre spielt die perfekte Intonation seines Willens. Sie hat Angst. Sie weiß nicht, dass es sie gibt, sie weiß nicht, dass es Naturgesetze zu beachten gilt; sie ist ein totes Stück Eisen, Holz und seelenloser Restelemente.
Henry weiß nichts von seelenloser Materie, hat er sich noch nie mit beschäftigt, ist ihm fremd.
Er einigt sich mit der Gitarre.
Eine gute Gitarre einigt sich immer vorsichtshalber auch mit ihm.

Zusammen mit Göran gab er mir 1993 eine Chance, als ich mich auf die von den beiden ausgeschriebene Stelle eines Bandmitgliedes bewarb. Sie suchten einen Bassisten, ich gab vor, dass ich bestimmt vier bis fünf Akkorde auf der Gitarre konnte. Aus Mangel an Bewerbern, und mit Sicherheit auch aus Mitleid gaben sie mir eine Chance. Ich durfte vorspielen.
Ich spielte schlecht, sogar sehr schlecht. Aber das mit einer Vehemenz und nicht gekannter Begeisterung, dass sie sich nicht trauten, mir eine Absage zu erteilen.
Seitdem war ich dabei.
Und es wurde interessant. So interessant, dass ich glaube, dass man diese Geschichte auch mal erzählen sollte. Was ich hiermit tue.
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Beitrag zuletzt bearbeitet von Stueps am 13.04.2016 um 00:15 Uhr.
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Stueps (Moderator)
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Die sowjetische Gitarre


Es ging für zwei Wochen nach Petrosawodsk. Das liegt am Onega-See und war ziemlich genau 1988. Diese Reise hatte meine Schulklasse wegen herausragender Leistungen gewonnen, wir waren im gesamten Bezirk Jahrgangsbeste. Beigetragen hatte ich dazu nicht allzu viel, aber es reichte ja immerhin.
Meine Eltern machten für diese Reise 180,- DDR-Mark locker, die ich in der Morgenlandstraße in genau 60,- Rubel tauschte.

Die Zugfahrt ging über einige Tage, der russische Schaffner war des Nachts sehr redselig, spendierte Wodka (einen deutschen, der russische taugte nichts) und erzählte mir seine Lebensgeschichte – von der ich natürlich kein Wort verstand.
Nun, er hatte Schnaps, und so nickte ich fleißig und sagte „da“, „njet“, „charascho“ und „otschjen plocho“.
Manchmal guckte er ob meiner Kommentare verwundert, sah aber darüber hinweg – froh, dass er jemanden zum Reden hatte.
Jemanden, der ihn verstand!
Der Onega-See war schön, das Essen war komisch, und die Geschäfte beinahe leer. Also von den Waren her. In einem vollständig gekachelten Lebensmittelladen gab es riesige Weißbrote, komische, an den Wänden hängende Fleischbrocken und Milch in Flaschen. Das wars und schien zu reichen.
In einem anderen Geschäft gab es Souvenirs. Ich kann mich an eine kleine, lackierte Schatulle erinnern, die ich meiner Mutter zum Geschenk kaufte.
Und in diesem Geschäft hing sie dann auch.
Die Gitarre.
Das Preisschild wies 20,- Rubel aus, ich ließ sie mir geben, und war sofort verliebt.
Einen professionellen Eindruck erweckend, probierte ich sie aus, schlug hier und da ein paar Töne an, schraubte an den Wirbeln, und nickte immerzu unter den seltsamen Blicken der Verkäuferin wissend. Dann legte ich die Rubel auf den Tisch, die Verkäuferin schnatterte ein paar Sätze, und die Gitarre war mein!
Meine allererste Gitarre! Ein wunderbares Gefühl!

Im Hotelzimmer probierte ich sie dann aus.
Ein paar Dinge schienen schon verwunderlich.
So kamen mir die Saiten ein wenig weit weg vom Gitarrenhals vor. Mit den Fingern schaffte ich es nicht, sie auf den Hals zu drücken, was ich auf eklatante Schwäche der Fingerkraft und Übungsbedarf meinerseits zurückführte. Schließlich lernt man Gitarre nicht an einem Wochentag in Petrosawodsk. Es kam mir aber auch der abwegige Gedanke, dass dies eine spezielle Gitarrenart war, die Schraubzwingen als Zusatzwerkzeug erforderte.

Susanne hatte meinen Kauf beobachtet, konnte ein bisschen Gitarre, und kam in mein Zimmer. Ich saß auf dem Bett, Susanne setzte sich dazu und probierte den besten Kauf meines Lebens aus.
„Die hat ja sieben Saiten.“
Nicht verstehend, was daran verwunderlich sein soll, schaute ich konsterniert.
Metallsaiten gehen so schwer, da kann ich nicht drauf spielen.“
Klimper klimper.
„Ich stimme sie mal kurz.“
Klimper klimper.
„Krieg ich nicht gestimmt...
...und die Saiten sind so weit weg vom Bund.“
...
...
„Du musst den Finger hier, und den da, und den jetzt hier. Hier vor dem Bund … Das sind die Metalldinger auf dem Griffbrett. Die heißen Bunde.“
Murks, komischer Ton, schmerzende linke Hand.
...
„Ich hab ein Heft, wo Griffe drin stehen.“

Susanne hatte es begriffen:
Sie hat erkannt, dass ich Gitarre lernen wollte.
Dass ich Musik machen wollte.
Hat mich absichtlich diesen unfassbaren Fehlkauf tätigen lassen, in der Kenntnis, was dieser insgesamt für mich bedeutete, und was ich eigentlich wollte, und dass dieser Fehlkauf unabdingbar dafür war.
Und schubste mich dann auf kluge, zurückhaltende Weise an, Gitarre zu lernen. So viel Weitsicht mit sechzehn Jahren ist bemerkenswert.
Kluge Susanne

Der nächste Beitrag erzählt die Geschichte meines Einstiegs in die Band.
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Beitrag zuletzt bearbeitet von Stueps am 20.04.2016 um 23:37 Uhr.
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Ich steige in die Band ein.


Im „Seeblick“ saßen Göran und Henry, zusammen mit Sören, und ich kellnerte. Genau weiß ich das nicht mehr, kann auch sein, dass ich nur so da war. Sören, mein alter Hochhauskamerad aus dem fünften Stock (ich wohnte im Neunten), berichtete mir von seiner Band, und dass sie einen Gitarristen suchten.
Ich stellte mich vor, und Henry und Göran sagten, dass sie keinen Gitarristen, sondern einen Bassisten brauchten.
Ich hatte in meiner Lehre einen Bass in der Hand, was ich kundtat. Das war nicht gelogen, es existieren Fotos, wo ich auf dem Boden liegend einen Bass mit zwei Saiten bespannt augenscheinlich bespiele.
Henry und Göran luden mich zu einem Vorspiel ein, ahnend, einen Idioten in ihrer Band zu riskieren.
Sie behielten recht.

Beim allerersten Vorspiel nahm ich den dortigen Bass in die Hand, ließ mir die Akkorde sagen, und spielte mit. Zudem stand ein funktionsfähiges Mikro in der Gegend rum, in das ich unkontrollierte Laute hineinließ, was furchtbar klang, aber nicht zu ändern war. Ich spielte falsch, „sang“ laut und hatte einen Spaß, der durch nichts zu bremsen war.
Beide, Henry und Göran schauten mich an, ich strahlte, und keiner von beiden hatte den Mut, mir zu sagen, dass ich so richtig scheiße war.
Allerdings hatten sie auch noch nie diese ungebremste Begeisterung erlebt. Die die beiden mitgerissen hatte.
Und das zählte.
Ich war dabei. Und noch nie so glücklich.
Ich war in einer Band!
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Beitrag zuletzt bearbeitet von Stueps am 28.04.2016 um 01:50 Uhr.
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Der erste Auftritt


Der Hobel hatte erst mal nur drei Saiten, aber es waren geschätzt zwei vollständige Oktaven vorhanden, das reichte zum Üben. Die ersten Songs begannen sowieso alle auf „E“, der Geier weiß, warum. Für mich praktisch, konnte ich rechts auf die tiefe „E“ hämmern, und mich links um die wichtigen Dinge kümmern: Rauchen, Bier trinken, cool aussehen.
Wir übten zweimal die Woche, nach der Probe schnappten wir uns zwei drei Bier, fuhren zu ausgewählten Plätzen und träumten dort. Von Erfolg, Karriere, Glücklichsein.

Da wir nach einiger Zeit von uns überzeugt waren, und dies uns unsere Freunde auch immer wieder hoch und heilig beteuerten (es gab immer Bier und Unterhaltung im Proberaum), meldeten wir uns, nachdem wir vier oder fünf Songs hatten, zu einem örtlichen Songcontest an, an dem etliche Bands (zehn bis fünfzehn) teilnehmen sollten. Im Haus der Kultur und Bildung. Es war 1993, in unserer Heimatstadt war noch keine Bandszene etabliert. Aber am Entstehen. Nun, wir waren Teil, die Qualifikation zum Contest schafften wir locker.

Da der Contest und auch der Ablauf gerecht zugehen sollten, wurde die Reihenfolge der Bands nachmittags per Los bestimmt.
Es standen also etliche Leute um den Lostopf, Walschi und ich wurden zum Ziehen geschickt.
Der Ausloser mit dem Hut fragte, wer als erster ziehen will, und unser schlauer Walschi meldete sich prompt, was taktisch, weil statistisch äußerst klug war.
Die Gefahr, das Desaster, der absolute Gau, die Nummer Eins zu ziehen, und so unseren allerersten Auftritt vor ca. 300 Leuten als allererste Band des Abends zu absolvieren, war damit am Geringsten! Ich lobte Walschi dahingehend, denn wir waren kein Warmupper, hatten die Hose voll, und wollten erst einmal nicht auffallen.
Ich beschwor Walschi, dass alles gut ist, solange er nicht die Eins zieht, was Walschi motivierte: er war schwer christlich und klug, es würde schon optimal laufen, schließlich zog er als Erstes, statistisch optimal.
Natürlich zog er die Eins, ich verlor die Kontrolle und warf ihm vor, wie man nur so dermaßen bescheuert ziehen konnte, ein bisschen Intelligenz wäre doch nicht zuviel verlangt!

An den Rest des Abends erinnere ich mich nur zum Teil. Eigentlich fast gar nicht. Ich starb vor Lampenfieber, weiß bis heute nicht, was und wieviel ich getrunken hatte, der Videobeweis liefert klar einen Stüps, der vor dem Auftritt ruhe- und planlos mal an der einen, und dann wieder an der anderen Ecke zu sehen war.

Und dann eröffneten wir, wir spielten, und ich kann mich nur an eine Szene erinnern:
Einen einzigen Song (den ersten) sangen wir auf Deutsch, und den sang damals nicht unser Sänger, sondern ich, Wolli nur den Refrain.
Ich sang also, und der Text, und der gesamte erste öffentliche Auftritt, und die ganze Karriere überhaupt begann mit:
„Brutal holt der Wockel dich aus deinem Bett!“
Bis heute wird sich in speziellen Kreisen gern daran erinnert. Und sich drüber lustig gemacht. In den letzten Jahren allerdings weniger. Das vermisse ich.
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Beitrag zuletzt bearbeitet von Stueps am 14.05.2016 um 00:33 Uhr.
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Der Proberaum


Ein Traum. Mitten in der Industrie, und wegen fehlender Stromzähler absolut günstig. Im Winter wegen null Isolierung kalt, einfach irgendwelche Radiatoren rangehängt, schon hatten wir Minimum 10 Grad. Bisschen Bier, bisschen Wochenende, bisschen verrückte Typen, und es passt. Die Gitarren gehorchten, der Computer tat es, und die gesamte beknackte Woche war vergessen.
Wenn du in diesen weinrot gestrichenen Raum reingingst, buhlte sofort ein Gefühl der Geborgenheit um dich. Es gewann immer. Erstmal Wochenende feiern, blöde Sprüche liefern, Bier aufmachen, alles anknipsen, vorbereiten, und anfangen, bevor man nur noch am Bier interessiert war.
Und wenn man dann anfing, sein eigenes Zeug zu spielen, in Gemeinschaft, und es klang brutal gut, war man stundenlang glücklich.
Wir haben uns gestritten, um einzelne Parts gekämpft, oft nicht geeinigt, und immer nur einen Grund gehabt:
Da will ich dazugehören.

Und wirklich dazu gehört zu haben, das vergisst man nicht.
Das bleibt.
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Beitrag zuletzt bearbeitet von Stueps am 30.05.2016 um 14:12 Uhr.
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Im Studio


„Hab ich ihn erwischt?“
Angstvoll versuchten alle einen Blick in den Rückspiegel zu erhaschen, um zu sehen, ob der Spatz den Tiefflug unter Wollis BMW überlebt hatte. Niemand konnte etwas erkennen, der Spatz schien davongekommen zu sein, jedenfalls redeten sich alle das ein.
Wir waren auf dem Weg nach Osterholz-Scharmbeck, falls es diesen Ort gibt, ich weiß es nicht mehr genau, es ist zwanzig Jahre her, dort war der heilige Ort, wo unsere Geistesblitze verewigt werden sollten. Auf CD. Wo unser Name drauf stand. Und unsere Musik drauf war. Der heilige Gral, den man in den CD-Player packen konnte, und dann unsere Musik rauskam.

Naja, in diesem speziellen Fall nicht ausschließlich unsere Musik.
Es war ein Sampler, ich glaube, ich habe ihn noch irgendwo.
Unsere Musik gab es noch nicht verewigt, wir mussten richtig einspielen, dafür Geld zahlen und auch extra nach Osterholz-Scharmbeck fahren.

Das taten wir zu gern.

Ein Studio in den Neunzigern ist etwas ganz Tolles.
Du kommst rein, und das Erste, was dich überwältigt, ist der Mega teure, eine Million Spuren umfassende Mixer, der den gesamten Raum dominiert. Die Peripherie ringsherum schüchtert dich mit einer Unzahl von Geräten ein, deren Funktion du nur erahnst, du aber so tun musst – als Musiker – als ob du alles komplett verstehst. Du willst schließlich ernst genommen werden, wenn der Produzent von der Wichtigkeit irgendwelcher Wichtigkeiten redet.

Der Osterholz-Scharmbeck-Produzent erklärte uns dann auch abends, wo der Aldi ist, dass Kühe zum Nachbarbild gehören, und dass wir für unsere drei Songs bis übermorgen Abend Zeit hätten.

...

Henry und Wolli meisterten ihre Einspiel-Aufgaben bravourös, Göran konnte man verwerten, die Zeit für meinen Bass reichte zum Schluss nur bedingt, an die Schlagzeug-Aufnahmen kann ich mich nicht mehr erinnern.

Mitten drin hatten wir „Zeit“, saßen an einem Baum auf der Wiese, wo Wolli sinnfrei und ohne Motivation im Singsang konstatierte: „I´m the Herdbanger, i´m the Eckenkäcker. I make my Käcke on the Eck, i´m the Herdbanger, i´m the Eckenkäcker.“

Wir lachten uns über diese Zeilen halb tot.
Glücklich, unter diesem Baum zu sitzen, zu lachen, unter diesem Baum, auf der Wiese.
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Regeln für Rockstars


Oberste Regel:

Es ist gut, Rockstar zu sein. Es gibt keinerlei Nachteil.
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Beitrag zuletzt bearbeitet von Stueps am 20.07.2016 um 00:43 Uhr.
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Stueps schrieb in Beitrag Nr. 2243-8:
Regeln für Rockstars


Oberste Regel:

Es ist gut, Rockstar zu sein. Es gibt keinerlei Nachteil.

Gib niemals zu, dass du noch nie eine Hotelzimmereinrichtung zerdeppert hast!

Ich muss das wissen, ich hab mal vor Jahren, als ich keine Bleibe hatte, eine zeitlang im Proberaum einer Band genächtigt!
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Das Leben ist zu ernst, um es nur ernst zu nehmen.
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Stueps (Moderator)
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Hallo Henry,

Henry-Dochwieder schrieb in Beitrag Nr. 2243-9:
Gib niemals zu, dass du noch nie eine Hotelzimmereinrichtung zerdeppert hast!

bis zu einem Hotelzimmer haben wir es niemals geschafft.

Pfaffenteich


Wir hatten es zwar niemals im Auge, aber auf unserem Stadtfest zu spielen, ist schon eine besondere Ehre. Das heißt, dass wir in einem unserer Tore offiziell darbieten durften, und das auch von der Stadt so beabsichtigt war.
Klar war da nur Dorfbumspublikum, klar waren die nur am Saufen. Aber das waren wir ja auch.
Was wir bis zum Soundcheck nicht wussten, war, dass das eine Art Battle war, wo das Publikum abstimmen durfte, welche die beste Dorfbumsband des Abends war.
Zugegebenermaßen war ich in der Vorbereitung des Abends vornehmlich am Lübzer-Wagen tätig, da dieser für unsereins Freigetränke aller Art bereitstellte. Zum Soundcheck wummerte ich irgend eine Bassorgie in die Boxen, die den Tonmeister offensichtlich überzeugte. Das hat meiner Erinnerung nach vielleicht 30 Sekunden gedauert. Der Lübzer-Wagen rief schließlich ungeduldig, wo der Tonmeister und ich auch gleichzeitig nach dem Soundcheck eintrafen.
Es traten talentierte Bands im Laufe des Abends auf, wir natürlich auch. Jeder Gast durfte ein Zettelchen in einen Kasten werfen, und es gab mit Sicherheit einen Sieger.
Klar, bis heute besteht die Möglichkeit, dass wir es waren.
Klar ist aber auch, dass wir einen fesselnden Auftritt hingelegt haben, und sofort anschließend das Stadtfest genossen haben. Freigetränke gab es natürlich, Wein, Bier, Mixgetränke, alles verlockend, alles, was man ganz sicher bereut.
Im Laufe der Nacht brach Klein-Wolli von meinem Balkon herunter, und schrie mich an, dass ich sofort einen Notarzt rufen solle, da seine Emesis blutrot war, und er demzufolge auch nur Blut reguritierte. Eine mühsame Anamnese meinerseits ergab, dass er auch unter anderem Rosentaler Kadarka im Laufe des Abends genossen hat, welcher den Mageninhalt automatisch rot färbte.
Erleichtert genossen Wolli und ich noch das ein oder andere Getränk, bis es Zeit zum nächsten Auftritt wurde.
Dieser war Mittags am Pfaffenteich vor mehreren hundert Leuten.
Klar war die Band am Start, klar hatten alle den Weg nach Schwerin gefunden, der Auftritt war wichtig! Und alle sahen aus, als wäre die Straßenwalze mehrmals über die Gesichter gerollt. Denn die restlichen Bandmitglieder hatten am selbigen Vorabend bestimmt nicht zu Haus Blumengebinde geknüpft.
Mittags das Publikum zu rocken ist bestimmt nicht leicht, das hängt dann ganz und gar von den Leuten ab. Aber sie hatten Bock, und so ist uns einer der schönsten Auftritte der Geschichte geglückt.

Im nächsten wohl kurzen Beitrag wird es wohl um unseren Support von ((TAM)) gehen. Einer meiner Höhepunkte.
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Beitrag zuletzt bearbeitet von Stueps am 31.07.2016 um 05:32 Uhr.
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Ah ja ((TAM))


In den Neunzigern eine der angesagtesten Indie-Bands in Deutschland, haben die Sääle in Deutschland zum Kochen gebracht, und mir viele schöne Stunden beschert. Ein Traum unserer Band war, mit diesen Leuten gemeinsam aufzutreten.
Aber wir waren viel zu klein, keine Beziehungen, nicht professionell genug, nur einen gewissen Namen im Umkreis erspielt. Unter anderem im Tankhaus. Ein megageiler Schuppen in Stavenhagen. Tolle Bands, tolle Location, innovative Konzepte, alles stimmte (noch heute ziehe ich den Hut vor Tom Buyny, ich schulde ihm immer noch 20 Mark). Außer dass der Schuppen in Stavenhagen lag. Leute ohne Geld und Zukunftsperspektive. Vor allem Leute ohne Geld, was das tägliche Geschäft schwierig machte. Es haben dort Bands wie Guano Ape, Clawfinger, H-Blockx und auch Rammstein gespielt (was einen Extra-Bericht wert ist).
Die Nachricht, dass ((TAM)) im Tankhaus auftreten würde, elektrisierte uns, wir setzten all unsere kümmerlichen Beziehungen daran, Support von unseren Halbgöttern zu sein.
Und es klappte!
Euphorisch, vor vollem Publikum Gas zu geben, setzten wir uns Wochen unter Strom, probten wie die Besessenen - machten wir sowieso. Hatten die Band schon mehrfach live erlebt, und viele Stunden intensives Leben genossen.
Mittags am Tag des Auftrittes rückten wir mit voller Montur an, wiesen uns aus, kamen rein, machten Soundcheck, zogen uns zurück, und versuchten, all den bösen Rockstar-Konsumgütern zu widerstehen, was uns natürlich wie immer nicht gelang. Kein Rockstar kann dasitzen und stumpf warten! Keiner!
Ab und zu schmulten wir nach draußen, und beobachteten die hoffentlich steigenden Zuschauerzahlen.
Sie stiegen nicht.
Es kamen vielleicht hundert Gäste, die sich in die dunklen Ecken verzogen, und ihr einziges Bier des Abends nuckelten. Vorsichtig natürlich, sonst wäre es zu schnell alle.
Vor leerem Saal versuchten wir die Geschichte zu rocken, was uns natürlich mitten in der Woche nicht gelang. Ein Rockstar versucht dies mit besonders euphorischem Spiel und Gebaren zu kompensieren, und kämpft dabei um jeden Gast, der vor der Bühne Tanzbewegungen versucht. So auch wir.
Wir gaben Gas, hier und da war vereinzeltes Klatschen zu hören, wir spielten quasi in einem fremden Proberaum. Wobei natürlich in unserem wesentlich mehr Action war.
Was uns allerdings gelang:
Wir lockten ((TAM)) von Backstage nach draußen, sie schauten tatsächlich unseren Auftritt!
Das war Freude genug, und wir gaben extra Gas.
Sie blieben bis zum Schluss!!!
((TAM)) waren danach dran, und hatten auch nicht mehr Erfolg als wir. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass sie problemlos riesige Festivals rockten.
Danach packten wir unsere Sachen und wollten los, allerdings wollte ich noch ein extraschönes Autogramm, wenn ich schon so dicht dran war. Unsere Backstageräume lagen nebeneinander, und so traute ich mich zu klopfen. Hineingebeten äußerte ich mein Anliegen, wurde zum Bleiben genötigt, Weil die Herren nicht einfach nur ein Autogramm gaben, sondern witzige Zeichnungen zu ihren Namenszügen malten. Die Chance nutzend, lotste ich den Rest der Band zu ((TAM)), und es wurde eine Nacht, die man nicht vergisst.
Donis (Sänger ((TAM)), erzählte einen Witz in tiefstem Sächsisch, wonach weder Henry noch ich uns minutenlang beruhigen konnten. Es ging um einen in der Wüste Verdurstenden, der endlich an enem Brunnen kam und nicht erkennen konnte, ob Wasser darin war. Einen großen Stein hineinwerfend horchte er ob des Aufplatschens, konnte jedoch nichts wahrnehmen. Nach einiger Zeit kam ein Schaf angerannt, und stürzte sich ohne Umwege in den Brunnen. Unser Held wunderte sich, konnte dieses Ereignis jedoch nicht einordnen. Wieder später kam ein Typ, und fragte, ob unser Verdurstender ein Schaf gesehen hätte. Ja, hätte er, es kam direkt angerannt, und hätte sich in den Brunnen gestürzt.Verdammt, sagte der Typ, dabei hätte er es an einen SO GROßEN Stein gebunden!

Beste Grüße
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Beitrag zuletzt bearbeitet von Stueps am 13.12.2016 um 23:18 Uhr.
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RAMMSTEIN


Schwierig, öffentlich darüber zu schreiben. Es ist ein Erwachsenen-Forum, jedoch lesen prinzipiell Kinder mit. Ich versuche das zu umschiffen. Mit Umschreibungen, die jeder Erwachsene versteht.

Wir hatten keinen Auftritt, Freitag geprobt, Samstag Freizeit. Im Tankhaus Stavenhagen spielte eine unbekannte Band, wir hatten nix vor, Billy empfahl sie, und Tankhaus war geil. Mitten im Winter begaben wir uns bei minus 15 Grad auf eisglatter Fahrbahn nach Stavenhagen, mit 20 km/h Reisegeschwindigkeit. Selbst das war gefährlich - die Straßen waren wirklich spiegelglatt. Billy spielte nebenher die CD der Band ab, die wir begutachten wollten. Und wir waren angetan.
Könnte ein schöner Abend werden.
Wurde es auch.
Angekommen, ich war vierundzwanzig, holte klein Wolli zwei Bier und bat mich, ihn auf Klo zu begleiten, er wolle nicht allein. Zu meinem Erstaunen schlossen wir uns in einem Separé (einen besseren Ausdruck habe ich jetzt nicht) ein, und Wolli zündete eine komisch aussehende Zigarette an. Wir teilten diese, und ich musste über die Leute kichern, die im Neben-Separé über uns kicherten. Warum wir alle kicherten, weiß ich nicht mehr.
Die unbekannte Band spielte, wir begaben uns nach draußen und wurden vollkommen überrollt.
Ich stand hinten an der Wand, und sah zu, wie Rammstein versuchte, die Decke des Tankhaus´ abzufackeln.Till hielt mit Maske und Paste sein Gesicht in die Flammensäulen, gleich zum Anfang, er brannte vollständig. Dazu ein brachialer Sound - nie gehört - , die Decke des Tankhaus schwärzt sich vom Feuer, ich hinten in der Ecke, hundertfünfzig Leute in einer Location wo tausend reinpassen, alle angenagelt und konnten es nicht fassen.
Ich habe die ganze Zeit in meiner Ecke wie blöd gegrinst.
Habe mir die Herzeleid geholt, und bin seitdem Fan.
Habe einige Konzerte erlebt, und erwähne besonders einen Fakt: Wenn ein paar Ossis (bin ja selber einer, wenn jetzt auch sehr glücklich im Westen) es schaffen, dass nach zehnjähriger vollkommener Amerika-Abstinenz ein Madison Squuare Garden Konzert innerhalb von zwanzig Minuten auverkauft ist, dann hat das was zu bedeuten.

Beste Grüße

Nachtrag: Der perfekte Song sieht für mich so aus.(Werbung natürlich nach vier Sekunden überpringen.)
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Beitrag zuletzt bearbeitet von Stueps am 25.01.2017 um 00:15 Uhr.
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Das Ende der Band


Viele Faktoren führten dazu: Fehlender Glaube, Familienplanungen, Job.

Festhalten kann ich wohl: Wir machen es nur, wenn wir es ganz nach oben schaffen können. Die nötige Intelligenz und das nötige Talent hatten wir.

Hatten uns allerdings auch einreden lassen, dass Glück dazu gehört. Was meiner Meinung nach totaler Quatsch ist. Hört man überall, ist aber nach meiner Wahrnehmung nicht wahr.

Die Geschichte ist komplex, ich werde nicht alle (durchaus auch wichtige) Komponenten erwähnen, ich werde nur erzählen, wo ich den Glauben verlor. An die Band, an das Schicksal. Also wie das Ende aus meiner Sicht kam, was uns den Todesstoß versetzte.

Ich schreibe das hier gerade frei aus dem Bauch heraus, quasi "live", werde es nirgends außer hier speichern, werde es nicht gegenlesen, trinke ein Bier, weil ich frei habe morgen, und werde jetzt schon gar nicht überlegen, was ich gerade schreibe.

Wir hatten uns durchaus schon einen Namen als Indie-Band erspielt, fanden auch schon wohlwollende Erwähnung in rockmusikinternen Hochglanzmagazinen (u.a. Sonic Seducer), und verschiedene skeptisch gestimmte A & R´s hatten uns im Auge - nur für den Fall der Fälle. Überzeugt hatten wir keinen einzigen. Nicht mal ansatzweise. Aber sie wissen, dass auch sie sich mal täuschen - klar- und so waren wir irgendwo hinten registriert.

Billy allerdings hatte etwas ganz besonderes organisiert (wie, werde ich nicht erzählen), was uns ziemlich weit nach oben katapultiert hätte:

Es wurde geplant, dass wir im (wohl) ehemaligen (?) Kosovo-Kriegsgebiet - ich glaube, zu diesem Zeitpunkt noch unruhig (ich krieg es jetzt gerade echt nicht mehr auf die Reihe!!!) - eine Tour durch verschiedene Militärstützpunkte dort absolvieren sollten! Vor Tausenden von Soldaten.

Das wäre allerdings das Sprungbrett für uns geworden.

In entsprechenden Musik-Medien angekündigt, die Tickets, den Ablaufplan in der Hand, das Gepäck abgewogen (Militärmaschinen wollen sowas wissen), stand dem 21.09.2001 zum Start nichts im Weg.

Bis auf unvorhergesehene Dinge wie der 11.September 2001.

Zivilisten wurde das Einreisen in Kriegsgebiete untersagt1. Oder in gefährdete Gebiete, keine Ahnung, ich weiß es nicht mehr, es war mit damals egal, ist es heute noch.
Die Tour war gestorben. Es hatte schon vorher heftig gekriselt in unserer Band:

Ich hatte oben geschrieben, dass wir das nötige Talent und die nötige Intelligenz mitbrachten. Was uns fehlte, und zwar wahrscheinlich von Anfang an, war wohl der Glaube.
Wir hatten sieben Jahre oder so gemeinsam Musik gemacht, sind gewachsen, und haben uns immer von außen, von "klügeren" Leuten kleinreden lassen. Weil wir es nicht besser wussten, haben wir die Scheiße verinnerlicht. Wir waren klein. haben es zu bleiben. Eine Natürlichkeit der Dinge.
Wir hatten wohl alle die Kosovo-Tour vorher schon zum Entscheidungsfaktor gemacht.

Danach ging es recht schnell auseinander, jeder sah zu, dass er sich nur noch um sich selbst kümmerte.

Allen hängt allerdings nach, etwas ganz besonderes erlebt zu haben - es selbst mitgestaltet zu haben.

Beste Grüße

Ich sende das jetzt, ohne gegengelesen zu haben - keine Lust.

1Wir hatten sehr gute Kontakte zur Bundeswehr - diese organisierte und finanzierte bis dahin die Tour.
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Beitrag zuletzt bearbeitet von Stueps am 02.11.2017 um 08:00 Uhr.
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