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Wir haben keinen Sensor für Zeit

Thema erstellt von Otto 
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Beiträge: 1.233, Mitglied seit 10 Jahren
Hallo,
Information ist nichts anderes als Fragen, die wir stellen. Dabei hat die Natur nicht auf alle Fragen eine Antwort. Aufgabe der Physik ist, herauszufinden, was wir über die Natur sagen können. Jedes Experiment ist eine Frage an die Natur. Ohne Sinneseindrücke gibt es aber keine Beobachtung.
Wirklichkeit und Information sind dasselbe; es sind keine Gegensätze, sondern eins.
Offen ist die Frage nach dem Wesen des Wissens von Wirklichkeit/Information. (Siehe auch Anton Zeilinger und Niels Bohr).
Ich bin der Auffassung, daß Zeit der Gradient eines Zustandes ist, also die Änderung eines Zustandes. Dabei ist das, was Wirklichkeit bzw. Information sein kann, der Ausgangspunkt dessen, was man wissen kann (die Alltags-Weltansicht ist jedoch genau umgekehrt! - siehe auch Zeilingers Ausführungen).
Die Zeit ist nur insoweit eine eigenständige physikalische Eigenschaft wie zum Beispiel eine Temperaturänderung, aber nicht die Temperatur selbst. Zeit ist offensichtlich nichts Eigenständiges so wie die Temperatur es ist.

Unser Sensor für Zeit ist das Gehirn.
Diese „Meßapparatur“ arbeitet dabei nicht sehr gut, wenn mehr als 50% der Wahrnehmungen im Gedächtnis falsch gespeichert werden und die Auswertungen (über Muster) auch noch stark emotional gefärbt sind. Die Konstruktion reicht offensichtlich aus, um Zeit wenigstens zu erkennen.

Zeit ist etwas Eigenständiges wie ein Gradient. Ich bin mir aber nicht sicher, ob dieser Gradient als materiell anzusehen ist, oder nicht. Auf jedem Fall ist der Hintergrund materiell.
Änderungen nehmen wir über unsere Sensoren nicht unmittelbar wahr, sondern nur über Auswertungen (im Gehirn) von Signalen via Sinnesorgane. Dabei gibt es jedoch mindestens eine Ausnahme: Geschwindigkeitsänderungen nehmen wir mittels unserer Gleichgewichtsorgane als Kräfte wahr. Voraussetzung ist dafür natürlich eine Eigenmasse. Exakter formuliert: Es sind Impulsänderungen, die wir wahrnehmen.

Gibt es noch mehr direkte Wahrnehmungen von Änderungen bei Lebewesen? Kommentare von Euch dazu?


Zeit nur als eine Ortsveränderung durch Relativgeschwindigkeit aufzufassen ist meiner Meinung nach zu kurz gefaßt. Warum sollte Ortsveränderung etwas anderes sein, als eine Zustandsänderung, so wie die Änderung eines Aggregatzustandes, ein Temperaturanstieg, Reduzierung der Feuchtigkeit, Erhöhung des Härtegrades, usw.?
Der Philosophie der Quantenmechanik folgend ist auch eine Änderung der kleinsten Menge einer Information, eines Bits, auch eine physikalische Zustandsänderung. Grunderscheinungen der Quantenphysik wie Superpositionen und Verschränkungen, sind jedoch das Ergebnis dieser Zustandsänderungen, aber der (zufällige) Zustand selbst ist keine Änderung.
Auch der Kollaps einer Welle (Klick bei einer Messung) ist nichts anderes als eine Zustandsänderung.

Folgend 3 Fragen:
1. Ist die Änderung von Zuständen, also die Zeit, eine Naturkonstante?

2. Lassen sich die drei räumlichen Dimensionen, wie wir sie erleben, als Zeitachsen interpretieren?
Wenn die Zeit als vierte Dimension mathematisch in Gleichungen integriert werden kann, dann gibt es keinen qualitativen Unterschied zwischen Zeit- und Raumachsen.
Interessanterweise lassen sich bei dieser Überlegung die drei längenbehafteten Dimensionen zu einer eindimensionalen Zeit zusammenfassen. Die Zeit hat einen skalaren Wert und eine Richtung. Die Richtung ist beliebig. Seine mathematische Beschreibung hängt vom willkürlich gewählten Koordinatensystem ab, zum Beispiel eines orthogonalen Systems, oder einer Kugeloberfläche, oder der Oberfläche eines Ellipsoiden, usw.
Eine Relativgeschwindigkeit „v“ ist immer eine Resultierende mit den Komponenten vx, vy, vz, und wird gewöhnlich als Vektor dargestellt, also behaftet mit einer Richtung und einer skalaren Größe. Deshalb ist es folgerichtig, auch der Zeit eine Richtung zuzuweisen.
Die vier Dimensionen einer Raum-Zeit werden so zu einem zweidimensionalen System, bestehend aus einer eindimensionalen Zeitachse, proportional zum skalaren Wert 1/v, und einer zweiten Zeitachse, proportional zum skalaren Wert 1/c.
Dabei stellt der Wert 1/c einen Grenzwert des Wertes 1/v dar. Die Azeitlichkeit bei Lichtgeschwindigkeit bedeutet also nicht, daß die Zeit dann den Wert Null hat.

Anmerkung 1: Unsere Gleichgewichtsorgane zerlegen durch ihren Aufbau jede Impulsänderung automatisch in drei Komponenten und senden sie Auswertung ins Gehirn. Damit ist das Alltags-Erfassen der Wirklichkeit biologisch vorprogrammiert. Eine der Richtungen ist dabei dominant. Es ist die Richtung der Massenanziehung durch die Erde.
Anmerkung 2: Eindimensional bedeutet die Angabe einer geometrischen oder physikalischen Dimension. 1-D wird geometrisch durch eine gestreckte Linie dargestellt, bei der sowohl die Richtung und als auch der Betrag als Länge festlegt sind. Die Dimension einer Größe drückt deren qualitative Eigenschaft aus. Auch geodätische Linien auf einer gekrümmten Fläche (Kurve auf einer Fläche) sind 1-D.
Anmerkung 3: Kann der Zeit nicht nur ein Betrag und eine Richtung zugeordnet werden, sondern auch eine Masse, dann ist der Grenzwert 1/c mit dem skalaren Wert einer Energie äquivalent.


3. Ich kann mir physikalisch nicht erklären, warum die Zeitachse in einer Raum-Zeit als imaginäre Größe angesetzt wird. Das mathematische System mag in sich logisch sein, aber ist es physikalisch sinnvoll? Wenn ich es richtig verstehe, setzt diese Verfahrensweise voraus, daß die Lichtgeschwindigkeit eine imaginäre Größe ist.

Noch eine Bemerkung zu Euren umfangreichen Kommentaren über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Natürlich habt Ihr Recht, daß alles, was wir über unsere Sinnesorgane wahrnehmen, nur Vergangenheit sein kann. Das ganze All, die Sterne, usw. ist ein Blick in die Vergangenheit.
Aber auch Zukünftiges existiert bereits. Deshalb halte ich das Blockuniversum für eine wahrscheinlich richtige Beschreibung des Universums.

Das Gedächtnis ist die Grundvoraussetzung, vergangene Zustände zu erkennen und wahrscheinliche Zustandsänderungen über Muster vorauszusagen.
Das Leben erfordert Überleben und damit ständig Entscheidungen. Die Entscheidungen können aber nur auf Grund von Informationen und im Gehirn angelegten Mustern getroffen werden. Dies sind immer im Grunde Ja-Nein-Antworten, das heißt Quantifizierungen (Zeilinger).

Gruß, Otto
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Beiträge: 2.420, Mitglied seit 17 Jahren
Hallo Otto,

Otto schrieb in Beitrag Nr. 2156-21:
Zeit ist offensichtlich nichts Eigenständiges so wie die Temperatur es ist.

Temperatur ist (von Strahlungstemperatur einmal abgesehen) "Brownsche Molekularbewegung" und beinhaltet mit der Bewegung wieder bereits die Zeit. - Aber selbst wenn wir die Strahlungstemperatur betrachten, so würde diese über die Wellenlänge bzw. Frequenz wiederum die Zeit als interne Größe beinhalten.

Zitat von Otto:
Geschwindigkeitsänderungen nehmen wir mittels unserer Gleichgewichtsorgane als Kräfte wahr.

Auch hier wieder: In unserem Gleichgewichtsorgan bewegt sich eine Flüssigkeit an Haarzellen entlang und löst so die Empfindung aus. Die Bewegung der Flüssigkeit beinhaltet wieder bereits die Zeit.

Beschleunigungen (d.h. Krafteinwirkungen durch Druck) empfinden wir, weil Moleküle an eine Nervenzelle gequetscht, d.h. verschoben, werden und sich dort elektrostatisch abstoßen. Auch hier bewegt sich also wieder etwas und löst so die Sinnesempfindung aus.

Zitat von Otto:
Folgend 3 Fragen: 1. Ist die Änderung von Zuständen, also die Zeit, eine Naturkonstante?

Man muss m.E. die einmalige Zustandsänderung von einer stetigen Änderung von Zuständen unterscheiden. "Bewegung" bedeutet eine stetige Folge von Zustandsänderungen. Diese erfolgt nach meiner Auffassung stets mit Lichtgeschwindigkeit. Insoweit halte ich die Lichtgeschwindigkeit für die "Bewegungskonstante". Das "Vergehen von Zeit" ist gleichbedeutend mit "Bewegung in der Zeit". Insoweit ist die Lichtgeschwindigkeit m.E. auch die Zeitkonstante.

Zitat von Otto:
2. Lassen sich die drei räumlichen Dimensionen, wie wir sie erleben, als Zeitachsen interpretieren?

Ich interpretiere umgekehrt die Zeitachse als eine zusätzliche Raumachse (aber wie herum, scheint mir nur Definitionssache zu sein).

Zitat von Otto:
Wenn die Zeit als vierte Dimension mathematisch in Gleichungen integriert werden kann, dann gibt es keinen qualitativen Unterschied zwischen Zeit- und Raumachsen. ... Ich kann mir physikalisch nicht erklären, warum die Zeitachse in einer Raum-Zeit als imaginäre Größe angesetzt wird.

So sehe ich das auch. Man muss die Zeitachse m.E. auch nicht unbedingt imaginär verstehen. Zur Erstellung eines Minkowski-Diagramms wird dies zwar üblicherweise so gemacht. Man kann das "Vergehen der Zeit" aber auch als realen Geschwindigkeitsvektor auffassen. Tut man das, so ergeben sich die zeitlichen und räumlichen Geschwindigkeitsvektoren für ein beliebiges anderes Inertialsystem aus dem "normalen" Satz des Pythagoras als reale Vektoren, wie im Skript meiner homepage in Abb. 1 dargestellt.
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Zwischen Ursache und Wirkung besteht ein "Abstand" in der Raumzeit. Hierdurch begründet sich, dass für jede Bewegung/Veränderung im Raum eine Zeit benötigt (Raumzeit)
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Wer jung ist, meint, er müsste die Welt retten :smiley8:
Der Erfahrene erkennt, dass er nicht alle Probleme lösen kann
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Hans-m schrieb in Beitrag Nr. 2156-23:
Zwischen Ursache und Wirkung besteht ein "Abstand" in der Raumzeit. Hierdurch begründet sich, dass für jede Bewegung/Veränderung im Raum eine Zeit benötigt (Raumzeit)
Dieser örtliche Abstand ist gleichbedeutend mit einem Zeitintervall und ist Ausdruck einer Zustandsänderung.

Claus schrieb in Beitrag Nr. 2156-22:
Temperatur ist (von Strahlungstemperatur einmal abgesehen) "Brownsche Molekularbewegung" und beinhaltet mit der Bewegung wieder bereits die Zeit. - Aber selbst wenn wir die Strahlungstemperatur betrachten, so würde diese über die Wellenlänge bzw. Frequenz wiederum die Zeit als interne Größe beinhalten.
Ich verstehe Bewegung als Zustandsänderung. In diesem Sinne ist es richtig, daß es immer einer Bewegung gibt und kein völlige Bewegungslosigkeit. Selbst bei 0°Kelvin gibt es eine so genannte Nullpunktenergie (Unschärferelation). Auf der anderen Seite gibt es einen Maximalwert der Zustandsänderung, die Lichtgeschwindigkeit. Dabei ist der Wert c selbst ein Mittelwert, bedingt durch die Unschärferelation.
Strahlungen und auch massive Teilchen haben eine Wellennatur (mit einer Frequenz). Das sind jedoch zyklische Zustandsänderungen (de Broglie). Sie sind nicht mit Ortsveränderungen zu verwechseln, wie z.B. bei einer schwingenden Masse an einer Feder.
Meines Erachtens haben diese Teilchen und Schwingungen ihre eigene Zeit.
Folgende Definitionen sind bei der Beschreibung physikalischer Vorgänge zur Verständigung wichtig:
- Ein Parameter ist eine Größe, die als konstant angenommen wird (z.B. Masse, Federkonstante, Anfangsauslenkung).
- Eine Zustandsgröße ist eine Größe, die den momentanen Zustand eines Systems beschreibt, aber prinzipiell variabel ist (z.B. Elongation, Temperatur, Druck, Molvolumen). Es gibt intensive und extensive Zustandsgrößen.
- Unter Zustandsänderung versteht man die Änderung mindestens eines numerischen Wertes einer Zustandsgröße (z.B. Beschleunigung, Aggregatzustände, Energiezustände, Wärme, Tod, Metamorphosen).

Claus schrieb in Beitrag Nr. 2156-22:
Auch hier wieder: In unserem Gleichgewichtsorgan bewegt sich eine Flüssigkeit an Haarzellen entlang und löst so die Empfindung aus. Die Bewegung der Flüssigkeit beinhaltet wieder bereits die Zeit.

Beschleunigungen (d.h. Krafteinwirkungen durch Druck) empfinden wir, weil Moleküle an eine Nervenzelle gequetscht, d.h. verschoben, werden und sich dort elektrostatisch abstoßen. Auch hier bewegt sich also wieder etwas und löst so die Sinnesempfindung aus.
Offensichtlich kann zwischen sprunghaften und stetigen Änderungen unterschieden werden. Dabei verstehe ich die Lichtgeschwindigkeit nur als einen Grenzwert.
Ich verändere mich von meiner Geburt bis zum Tode ständig (nicht unbedingt stätig), aber zum Glück nicht mit Lichtgeschwindigkeit.

Claus schrieb in Beitrag Nr. 2156-22:
Man muss m.E. die einmalige Zustandsänderung von einer stetigen Änderung von Zuständen unterscheiden. "Bewegung" bedeutet eine stetige Folge von Zustandsänderungen. Diese erfolgt nach meiner Auffassung stets mit Lichtgeschwindigkeit. Insoweit halte ich die Lichtgeschwindigkeit für die "Bewegungskonstante". Das "Vergehen von Zeit" ist gleichbedeutend mit "Bewegung in der Zeit". Insoweit ist die Lichtgeschwindigkeit m.E. auch die Zeitkonstante.
Natürlich hast Du recht Claus, daß es zu einer Winkelbewegung von Sinneshaaren kommt, wenn wir Beschleunigungen registrieren. Die Winkelbewegung passiert aber nur bei Beginn und Ende der Beschleunigungsphase, der Winkel bleibt konstant während der gesamten Dauer der Beschleunigung. Dabei fließt eine Flüssigkeit, aber nur in den Bogengängen.
Bogengänge registrieren Drehbeschleunigungen des Kopfes. Oft wird beschrieben, daß die Membran im Bogengang die Bewegung einer Schwingtür ausführt. Dies ist jedoch auf einen Fehler bei einer der ersten Untersuchungen dieses Details zurückzuführen. In Wirklichkeit reitet die Membran des Bogengangs auf der walzenförmigen Krista und verursacht so Abscherbewegungen über den Sinneshaaren. Die Bewegung der Membran durch seine Massenträgheit erfolgt entgegen der Bewegungsrichtung des Körpers, verstärkt durch eingelagerte Kristalle in den Membranen, sogenannten Otokonien. Diese Einlagerungen erhöhen die Dichte der Membran.
Sacculus und Utriculus registrieren translatorische Beschleunigungen. Die Wirkungsweise ist hier ähnlich der der Bogengänge, jedoch ohne eine strömende Flüssigkeit.
Wen es noch interessiert:
Die Sinneszellenhaare der Maculae sind nicht einheitlich in eine Richtung ausgerichtet, sondern sind richtungspolarisiert. Die Polarisierung registriert die Richtung der Beschleunigung. Die Polarisierung erfolgt sehr einfach durch Haarbüschel, die wie "Orgelpfeifen" angeordnet sind. Die Höhe von etwa 60 Stereozillen nimmt in einer Richtung zu. Ein Kinozilium (größte der "Orgelpfeifen") schließt das Haarbüschel ab. Die Neigung der Stereozillen in Richtung des Kinoziliums infolge einer Beschleunigung führt zu einer Sinnzellenerregung (Depolarisation). Eine Abscherbewegung der Haare in umgekehrte Richtung führt zur Blockierung der Erregbarkeit (Hyperpolarisation).
Für die Weiterleitung der Information aus den Meßstellen des Gleichgewichtsorgans wird vom Nervus vestibularis das Prinzip der Frequenzmodulation benützt. Dazu wird bereits in Ruhe die Nervenfaser aktiviert. Sie bildet 60 – 90 Aktionspotentiale pro Sekunde. Diese Ruhefrequenz wird nun von der Sinneszelle bei Erregung moduliert.
Mit dieser Frequenzmodulation kann das Gleichgewichtssystem auch sehr langsame Vorgänge erfassen. Die Signalstärke wird in der Frequenz von Aktionspotenzialen wiedergegeben. Die paarigen Organe der linken und rechten Gleichgewichtsorgane (Vestibularapparat) im Kopf senden also die von der Ruhefrequenz abweichenden Werte mit den jeweils höheren und niedrigeren Frequenzen an den Hirnstamm zur Auswertung.

Otto
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Um das "Sommerloch" im Forum etwas zu beleben, anbei einige ergänzenden Informationen zum Thema "Wir haben keinen Sensor für Zeit" und zur Arbeitsweise unseres Gehirns:

Hirnforschungen haben gezeigt, daß das Gehirn einen inneren Takt folgt, um Informationen zu verarbeiten - ähnlich wie bei einem Computer. (1) Das Gehirn hat eine Frequenz, oder anders ausgedrückt, ein Zeitfenster für die Informationsverarbeitung. Der übliche Rhythmus des Denkens beim Menschen beträgt ca. ein 30 Tausendstel einer Sekunde. Bei Vollnarkose ist die Taktung Null.(2)
Der Hirnforscher Ernst Pöppel stellt dazu fest: „Der Mensch kann zwar machen, was er will, aber nicht, wann er es will. …. Anders als es Newton geschrieben hat, fließt die Zeit im Gehirn nicht. Um die Informationsfülle zu bändigen, werden Informationen zusammengefasst. Genauer: Die Zeit schreitet im Kopf voran mit 30 oder 40 Milli-Sekunden-Schritten. Diese Taktung ist eine ökonomische Maßnahme, mit der das Gehirn auf die Informationsflut reagiert. Sie ist genetisch verankert.“

Zusätzlich zu dieser Taktung gibt im menschlichen Gehirn ein Empfinden der Gegenwart.
Das subjektive Empfinden von Gegenwart wird im Bewußtsein als ein Zeitfenster von etwa drei Sekunden wahrgenommen.
Die Studien dazu haben die Existenz des Drei-Sekunden-Fensters erstaunlicherweise nur bei Männern nachweisen können, nicht bei Frauen. Während bei Männern dieser Takt immer ziemlich genau drei Sekunden lang ist, streut dieser Wert bei Frauen dagegen erheblich.
Das bedeutet nicht, daß Frauengehirnen eine größere zeitliche Flexibilität besitzen oder Multitasking-fähiger sind als männliche Gehirne.
Ernst Pöppel meint dazu: „Multitasking gibt es schlichtweg nicht. Das Gehirn kann die verschiedenen Aufgaben immer nur nacheinander angehen. Von einer höheren Anpassungsfähigkeit an äußere Ereignisse könnte man eher sprechen. Doch bislang sind das alles nur Hypothesen.“

Die zeitliche Informationsverarbeitung ist nach Ernst Pöppels Auffassung eine logistische Funktion und hängt nicht vom Inhalt der Information ab. (3)
Die logistische Funktion ist eine S-Funktion (Sigmoide). (4) Sie beschreibt den Zusammenhang zwischen der verstreichenden Zeit und einem exponentiellen Wachstum bei gleichzeitigem Verbrauch einer begrenzten Ressource (Energie), stellt also einen (speziellen) Zusammenhang zwischen Zeit, Energie und Informationsverarbeitung her. Die Verarbeitung der Information als Zustandsänderung läßt sich durch eine Bernoulli’sche Differentialgleichung beschreiben, deren Lösung eine e Funktion ist.

An dieser Stelle sei noch erwähnt, daß es eine Art Tacho im Gehirn gibt, der die Bewegungsgeschwindigkeit anzeigt. Die sogenannten Speedzellen geben Signale mit einer Frequenz ab, die mit der Bewegungsgeschwindigkeit zunimmt. Diese Rasterzellen befinden sich im entorhinalen Cortex und senden die Signale an den Hippocampus. Sie werden mit zunehmender Geschwindigkeit aktiver. Der entorhinale Cortex spielt eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung. Er reagiert nach einem Gedächtnisbildungsreiz schon nach 300 ms. Nur diejenigen Erregungen, die er an den Hippocampus weiterleitet, führen zur Speicherung des entsprechenden Reizes im Gedächtnis.
Das Erkennen einer Relativgeschwindigkeit setzt also ein Gedächtnis voraus.
Die Speedzellen wurden von dem norwegischen Nobelpreisträger- Ehepaar May-Britt und Edvard Moser entdeckt.

Gruß, Otto


Anmerkungen:
(1) Lee Smolin vermutet die Existenz einer kosmischen Weltzeit. Er spricht jedoch nicht in diesem Zusammenhang von einem Rhythmus des Universums.
(2) „Die Entdeckung der Hirntaktung hat in der Medizin eine konkrete Anwendung gefunden. In der Anästhesie ermöglicht sie die Überprüfung des Narkosezustandes, indem man während der Vollnarkose kontrolliert, ob die Hirntaktung ausgesetzt hat. Elektroden am Kopf zeigen diese an und lassen den Anästhesisten die Frequenz am Bildschirm verfolgen. Solange die Taktung Null ist, wirkt die Vollnarkose.“
(3) Heute gehen viele Informatiker noch davon aus, daß nur der Inhalt die Weise der Informationsverarbeitung bestimmt.
(4) Sigmoide in der Natur und Wissenschaft:
- Die logistische Funktion findet beispielsweise Anwendung bei der Beschreibung von Entwicklungen von Bakterienpopulationen.
- Die Sigmoidfunktion wird als Aktivierungsfunktion in künstlichen neuronalen Netzwerken aufgrund ihrer einfachen Differenzierbarkeit bevorzugt verwendet. Als Aktivierungsfunktion eines künstlichen Neurons wird hier die Sigmoidfunktion auf die Summe der gewichteten Eingabewerte angewendet, um die Ausgabe des Neurons zu erhalten. Der Einsatz von differenzierbaren Funktionen erlaubt die Verwendung von Lernmechanismen, wie zum Beispiel den Backpropagation-Algorithmus. Dieser Algorithmus kann durch die ergänzende Verwendung eines variablen Trägheitsterms (Momentum) der Gradient und die letzte Änderung gewichtet werden, so dass die Gewichtsanpassung zusätzlich von der vorausgegangenen Änderung am Netzwerkknoten abhängt.
- Der für die aerobe Energiegewinnung benötigte Sauerstoff wird über das Hämoglobin von der Lunge an das Muskelgewebe transportiert. Die Sauerstoffbindung an Hämoglobin folgt einer sigmoiden Sättigungs-Kurve in Abhängigkeit vom Blutdruck und Trainingszustand. Das Hämoglobin kann so in der Lunge den Sauerstoff optimal aufnehmen und im Gewebe optimal abgeben.

Quellen:
Wikipedia "Logistische Funktion"
Hamburger Abendblatt "Tacho im Gehirn"
Welt am Sonntag - "Rhythrmus des Denkens"
Welt am Sonnatg - "Frauengehirne sind flexible...
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Traue nie Deinen Sinnen.
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Stueps (Moderator)
Beiträge: 3.476, Mitglied seit 18 Jahren
Hallo Otto,

kannst du das auf eine kurze, zusammenfassende Problemstellung zusammenfassen?

Beste Grüße
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Diese Welt gibt es nur, weil es Regeln gibt.
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Beiträge: 1.233, Mitglied seit 10 Jahren
Stueps schrieb in Beitrag Nr. 2156-26:
Hallo Otto,
kannst du das auf eine kurze, zusammenfassende Problemstellung zusammenfassen?

Na klar! Zum besseren Verständnis zuerst eine kurze Zusammenfassung der Diskussionen zu diesem Thema:

Ich beschäftige mich nach wie vor, aber nur am Rande, mit dem Thema, wie Menschen Zeit registrieren, ohne dafür ein spezielles Sinnesorgan (Sensor) zu besitzen. Dabei ist die Folgewahrnehmung (Zeit) keine angeborene Fähigkeit, sondern wird erst erworben. Der „Sensor“ für Zeit ist unser Gehirn und zwar nur deshalb, weil wir ein Gedächtnis besitzen (für Arten der Speicherung siehe Beitrag Nr. 2156-6) und ein Bewußtsein zur Verarbeitung der Daten haben (Beitrag Nr. 2156-15 von Haronimo und Claus Beitrag Nr. 2156-13).
Mir ging es bei diesem Thema ursprünglich darum, den Menschen wie ein Meßgerät zu betrachten und eine Fehleranalyse für dieses „Gerät“ zu unternehmen. Mehr als 50% der Wahrnehmungen werden im Gedächtnis falsch speichert. Demzufolge sind die angelegten Muster ebenfalls fehlerhaft. Hinzu kommt, daß Voraussagen optimistisch verzerrt werden, das heißt, die Eingangsdaten werden gewichtet.
Um Mißverständnisse zu vermeiden: Ich meine nicht das Zeitgefühl oder eine innere Uhr.
Claus hat mal zu diesem Thema gesagt „Wenn das Wahrnehmen von Zeitfolgen an das Bewußtsein gekoppelt ist, dann könnte theoretisch die Zeit auch nur in unserem Bewußtsein existieren, also nicht objektiv und damit außerhalb des Bewußtseins, denn das Hirn produziert selbsttätig ein Bewußtsein seiner selbst.“
Ergänzung: Nach meiner Meinung ein berechtigter und guter Hinweis.

Mir geht es zum einen darum, die Grenzen unseres Denkens und damit unseres Verständnisses von Zeit zu analysieren. Zum anderen geht es mir darum, die physikalischen Prozesse unserer Signalverarbeitung besser zu verstehen und zu prüfen, ob wir als Menschen, bestehend aus verschiedenen autarken selbst regulierenden Sub-Systemen, ähnlichen Grundgesetzen folgen wie das ganze Universum.

Unter diesen Aspekten ist mein Beitrag Nr. 2156-21 zu verstehen.
Ich stelle mir zum Beispiel folgende Fragen, basierend auf den (für mich) neuen Informationen in diesem Beitrag:
  • Existiert Zeit als variable Zustandsgröße nur in mathematischen Gleichungen, aber nicht in Wirklichkeit? Denn jede Gleichung ist im Sinne des Blockuniversums immer eine zeitunabhängige Beschreibung von Zuständen, d.h. gleichzeitig beschreibend die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft.
  • Was wäre dann die Zeit wirklich? Ist es ein Rhythmus? Von welcher Art ist dann dieser Rhythmus? Wie läßt sich dieser Rhythmus sinnvoll mit mathematischen Werkzeugen erfassen? Es sei daran erinnert, daß trigonometrische Gleichungen mit Zeitvariablen unendliche Prozesse beschreiben und auch zeitunabhängig sind.
  • Wenn die kosmische Weltzeit keine variable Zustandsgöße ist, sondern ein rhythmischer Prozess, hätte sie die gleiche physikalische Eigenschaft wie das Bewußtsein? Überspitzt formuliert: Ein Universum ohne Zeit ist wie eine Vollnarkose.
  • Warum gehen die Informatiker des MIT davon aus, daß der Inhalt die Weise der Informationsverarbeitung bestimmt? Das kann ich nicht nachvollziehen. Weiß einer von Euch im Forum darüber mehr?
  • Die Sigmoidfunktion war als solche mir bekannt. Aber es war für mich neu, daß sie als Aktivierungsfunktion in künstlichen neuralen Netzwerken Verwendung findet. (Zur Erinnerung: Die Sigmoidfunktion ist eine zeitunabhängige Gleichung.) Ich stelle mir die Frage, ob es sinnvoll ist, diese Funktion auch für die Beschreibung von Relativgeschwindigkeiten zu verwenden. Kann die Lichtgeschwindigkeit als eine obere Schranke analog einem begrenzten Lebensraum von Bakterienkolonien betrachtet werden? Könnte der Lebensraum in Analogie mit einer zur Verfügung stehender Energie bzw. Masse in Verbindung gebracht werden?

Gruß, Otto
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Traue nie Deinen Sinnen.
Beitrag zuletzt bearbeitet von Otto am 31.07.2015 um 16:22 Uhr.
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Beiträge: 1.642, Mitglied seit 16 Jahren
Hallo Otto,
kannst Du was mit meiner zugegeben trivialen/pauschalen Vorstellung anfangen ?

Wenn wir unser Gehirn als die Hardware eines Computers auffassen, ist die Vorstellung von Zeit die Software ( ein Programm) dieses Computers.

MfG
Harti
Signatur:
Wichtig ist, dass man nicht aufhört zu fragen. A.E.
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Claus (Moderator)
Beiträge: 2.420, Mitglied seit 17 Jahren
Hallo Harti,

entschuldige, dass ich mich mit meiner Meinung vordränge... ;-)

Ich finde, es ist eher umgekehrt:
Das Programm ist ein zeitloser Datensatz. Der Computer führt diesen Datensatz (d.h. die einzelnen Befehlszeilen) in einer zeitlichen Reihenfolge aus.

Bin aber sehr auf Otto´s Meinung gespannt.
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Beiträge: 1.233, Mitglied seit 10 Jahren
Harti schrieb in Beitrag Nr. 2156-28:
Wenn wir unser Gehirn als die Hardware eines Computers auffassen, ist die Vorstellung von Zeit die Software ( ein Programm) dieses Computers.
Hallo Harti,
Die Software ist die logische Verknüpfung verschiedener Variablen zwischen Eingangswerten und Ausgangswerten, ist aber der zeitlose Teil.
Denn: Mit gegebenen Anfangswerten steht unverzüglich, also sofort ohne jeden Zeitverzug, der Endwert logisch fest. Ein Programm ist im Grunde nichts weiter als eine mathematische Gleichung.
Nur die Hardware allein bestimmt die Taktzeit zur Verarbeitung der Programmschritte (solange das Programm optimal gestaltet wurde). Deshalb spielt die Entwicklung immer schnellerer Computer so eine große Rolle, nicht die Programmsprache oder das Programm selbst.
Gruß, Otto
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Stueps (Moderator)
Beiträge: 3.476, Mitglied seit 18 Jahren
Hallo Otto,

puh, das ist ein schwieriges Thema. So interessant es ist, fehlt mir momentan die Energie, etwas Sinnvolles beitragen zu können. Ich bin mir aber sicher, dass dieses Thema nicht untergehen wird.
Sehr interessant fand ich übrigens Hartis letzte Frage und deine Antwort darauf!

Beste Grüße
Signatur:
Diese Welt gibt es nur, weil es Regeln gibt.
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