Am 15.01.11 ist in der SZ ein doppelseitiger Bericht und ein Kommentar, die
m.E. in der SZ-Berichterstattung eine neue Stufe der Kritik am
Börsengang und der Privatisierung darstellen. Zwar hält man noch am
Ausschreibungs-Wettbewerb fest, aber der Börsengang wird deutlich als
überholt und falsch dargestellt.
Ein Kommentar lautet "Irrtum Börse" (Karl-Heinz Büschemann), Zitat: "Die
Zuverlässigkeits-Krise des Schienenunternehmens ist ein Beleg dafür,
dass ein historisches Experiment gescheitert ist: der Weg der Deutschen
Bahn an die Börse. Nach anderthalb Jahrzehnten ambitionierter Planung
stößt das Denken, wonach möglichst viele Bereiche des öffentlichen
Lebens dem Staat wegzunehmen seien, an eine Grenze. Die Bahn wurde
unzuverlässig, weil ihr Managment handelte und kalkulierte wie die Chefs
von Aktionsgesellschaften, deren wichtigste Aufgabe es ist, hohe
Renditen zu erzielen. (...) Regierung und die die Gesellschaft müssen
zur Kenntnis nehmen, dass ein funktionierendes Schienennetz zu einer
Wirtschaftsnation gehört wie ordentliche Schulen, Universitäten, Straßen
oder die öffentliche Sicherheit. Solche Aufgaben können der Markt oder
renditegesteuerte Firmen nicht lösen. Sie müssen Staatsaufgabe sein.
(...) Dagegen sollte es Wettbewerb auf den Schienen geben."
Ähnlich ein Interiew mit Prof. Christian Böttger (Berlin): Frage: "Lief
früher wirklich alles so viel besser? Antwort Böttger: Genaue
Vergleichszahlen gibt es nicht. aber zumindest war die Pünktlichkeit bei
schlechtem Wetter besser. - Frage: Und woran liegt das? - Antwort
Böttger: Ein wichtiger Punkt ist die Verfügbarkeit von Reserven. Es gibt
heute keine Ersatzfahrzeuge, wenn ein Zug ausfällt. Und es gibt keine
Reservelokführer, wenn der Lokführer nicht rechtzeitig da ist. Hier hat
die DB in den letzten Jahren massiv gespart. DAs geht weiter so bei der
Infrastruktur. Die große Zahl an Weichenstörungen hat es früher so nicht
gegeben. (...) - Frage: Ist denn der lang gehegte Traum vom Börsengang
das Problem? - Böttger: Jedenfalls hängen damit viele Probleme zusammen.
Die DB hat in den letzten Jahren - ohne dass das je formal beschlossen
worden wäre, aber mit Duldung der Politik - ihren Fokus verlegt auf die
Expansion im internationalen Geschäft. Das hat die Aufmerksamkeit des
Managements und des Kapitals weggeführt von Deutschland. Die Eisenbahn
in Deutschland ist somit genutzt worden, um eine Expansion zu
finanzieren, mit der die DB bis heute kein Geld verdient. - Frage: Und
der Steuerzahler zahlt nur? - Antwort Böttger: Der finanziert
Minenlogistik in Papua-Neuguinea und Weinlogistik in Australien. Was
übrigens für das Management interessante Dienstreisen mit sich bringt.
Ist ja viel interessanter, als wenn Sie sich immer um die kaputten
Weichen in Jüterborg kümmern müssen." Aber dann eben auch er für den
Ausschreibungswettbewerb: "Es braucht mehr Ausschreibungen im
Nahverkehr." Und auch die Käufe in England werden begrüßt.
Und dann ein Artikel "Totes Gleis - der Gang an die Börse ist nicht mehr
realistisch." U.a wird dort gesagt, die Arbeitsgruppe "Blue Chip", die
jahrelang den Börsengang vorbereitet hat, sei aufgelöst, und die
Abteilung "Investor Relation" geschrumpft.
Geschrieben von Markus Henn
+++
Erstens besteht der Koalitionsbeschluss weiter, sobald die Börsenlage es
zulässt die Bahn teilzuprivatisieren.
Zweitens ist die Börsenlage inzwischen gut.
Drittens läuft die Grube-Politik mit dem fortgesetzten Ankauf neuer
Bahnen im Ausland (2010 für knapp 3 Mrd. Euro Arriva!) durchaus weiter
in Richtung Vorbereitung auf einen privaten Konzern als global player
und an der Börse notiert.
Viertens wird im gleichen Beitrag der FDP-Mann und Bahn-AR Dörin
zitiert, der richtigerweise auf neue Privatisierungsmodelle verweist, so
auf einen kompletten Verkauf von Schenker/Railion (weltweite Logistik
und dem gesamten Schienengüterverkehr
Fünftens würde dies die Aufspaltung der DB AG förmlich erzwingen: eine
private Güterverkehrssparte würde mit EU-Recht drohen und massiv -
Stichwort: Wettbewerbsgleichheit usw. - verlangen, dass die
Infrastruktur neutral und getrennt von der Rest-DB AG sein müsste.
Sechstens bedeutet, dass die Gruppe "investors relations" weiter
bestehen bleibt doch, dass man sich weiter auf einen Börsengang
vorbereitet. Nur in einem solchen Fall unterhält man so eine Truppe.
Siebtens schreiben den Beitrag zwei SZ-Leute, die seit Jahren massiv für
einen Böresengang sind.
Alles in allem:
Über diese Brücke, dass der Börsengang weg sei, würde ich nicht gehen.
Anmerkungen von
Winfried Wolf
+++
Ramsauer sagte, dass er den Börsengang der Bahn derzeit nicht für
entscheidungsreif halte. "Die Voraussetzungen für einen solchen Schritt
sind nicht in hinreichendem Maße gegeben."
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will angesichts der Probleme
keinen Börsengang in nächster Zeit. "Es bleibt ein Ziel, aber die Bürger
haben für dieses Ziel kein Verständnis, solange die Bahn die Bürger
nicht davon überzeugt, dass und wie sie die Schwierigkeiten schnell
bewältigt, die zum Beispiel um die Weihnachtszeit aufgetreten sind",
sagte Merkel dem Stern.
Quelle:
http://www.taz.de/1/zukunft/wirtschaft/artikel/1/bo...
Beitrag zuletzt bearbeitet von Real am 16.02.2011 um 12:52 Uhr.
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