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Umberto Maturana: So kommt die Naturwissenschaft zur Philosophie.

Thema erstellt von Flores 
Beiträge: 1, Mitglied seit 15 Jahren
Es gibt Philosophen, die behaupten von den Naturwissenschaften könnten Philosophen nichts lernen. Maturana scheint mir das Gegenteil zu belegen.

Seit Beginn der neuzeitlichen Philosophie mit Descartes geht "Die Philosophie" von einer ganz bestimmten Auffassung aus. Sie behauptet, dass der Mensch aus Körper und Geist/Seele besteht. Der Geist/Seele, insbesondere das Bewusstsein erkennt Welt, sich selbst und Gott/Wahrheit. Die Erkenntnis folgt dabei Strukturen des Bewusstseins bzw. des Geistes, die gegeben sind. Auf diese Art wird sicher gestellt, dass unser Erkennen zuverlässiges "Wissen" liefert, denn das was unser Bewusstsein erkennt, entspricht - beim 'richtigen' Gebrauch der geistigen Strukturen - dem Erkannten. Erkanntes ist daher als 'Repräsentation' der Wirklichkeit aufzufassen.

Diese Auffassung wird seit vielen Jahrzehnten schon durch naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse in Biologie und Neurophysiologie in Frage gestellt, bzw. als nicht zutreffend abgelehnt.

Umberto Maturana - dessen Ergebnisse und Schlussfolgerungen ich diesem Forum gerne etwas näher bringen möchte - lehnt dieses Verständnis von Erkennen ab, weil seine Forschungsergebnisse dazu nicht passen. Er kommt zu dem Schluss, dass 'Erkennen' ein "andauerndes Hervorbringen einer Welt durch den Prozess des Lebens selbst" sei. (vgl. Der Baum der Erkenntnis, S. 7)

Wie kommt er dazu?
Die biologische Tradition versteht Leben in der Regel aus den Beziehungen eines Lebewesens zur Umwelt. Dazu passte die 'Repräsentationstheorie'.
Vor allem neurophysiologische Forschungen ergaben für Maturana aber, dass ausschließlich die strukturellen Prozesse innerhalb eines Organismus, innerhalb einer Zelle 'Leben' immer wieder neu schaffen.

Die Beobachtung, Leben als einen sich immer wieder selbst generierenden Prozess aufzufassen, nannte er 'Autopoiese' .

D.h., eine Zelle bspw. reagiert auf Reize nicht "reizverarbeitend" und "reizweiterleitend", sondern sie reagiert innerhalb der Parameter ihrer eigenen Struktur, d.h. auf die ihr eigene Weise auf das, was sie da irgendwie tangiert. Maturana spricht deshalb auch nicht mehr von einer ursächlichen Beeinflussung eines Organismus' durch Umweltreize, sondern er spricht von Pertubationen. Damit werden Zustandsveränderungen in einem System bezeichnet, die durch dessen Umfeld ausgelöst werden. Reize sind also Auslöser und keine Verursacher bestimmter Veränderungen innerhalb eines lebenden Systems. "Welche neuronalen Aktivitäten durch welche Perturbationen ausgelöst werden, ist allein durch die individuelle Struktur jeder Person und nicht durch die Eigenschaften des perturbierenden Agens bestimmt." (Baum, S.27)

Objektivität ade, kann man sagen. Descartes Behauptung, unser Bewusstsein repräsentiere Objektivität ist damit zumindest fragwürdig. Mal abgesehen davon, was Bewusstsein überhaupt sein soll.

Für die 'philosophischen Grundlagen' des Lebens - ich mache jetzt einen großen Sprung - scheinen mir derartige Ergebnisse von basaler Wichtigkeit. Maturana hat im Laufe seiner Forschungen gemerkt, dass er Weltbilder aushebelt. Denn wenn das so ist, wie er glaubt beobachtet zu haben, dann hatte wohl Protagoras - von der traditionellen Philosophie geschmäht - schon vor zweieinhalb Jahrtausenden den Nagel philosophisch auf den Kopf getroffen, als er meinte:

"Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Sie sind für mich so, wie sie mir erscheinen und für dich so, wie sie dir erscheinen."

Wer meinem Beitrag nachspüren möchte, dem empfehle ich den "Baum der Erkenntnis" von Umberto Maturana. 1991 beim Scherzverlag (Bern/München) als Paperback erschienen. Es enthält neben Experimentbeschreibungen und seinen Schlussfolgerungen eine Reihe von Experimenten, die man schon beim Lesen ausprobieren kann, was ich besonders hilfreich fand. Dieses Buch ist nicht nur ein Buch, sondern auch ein Erlebnis!

flores
Signatur:
Jedes Lebewesen möchte seinen eigenen Impulsen folgen können. (Rolf Reinhold)
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Beiträge: 1.503, Mitglied seit 17 Jahren
HAllo Flores,

ich habe ein Problem mit Begriffen, oder besser zu sagen neu-kreierten Begriffe.
Zitat:
Die Beobachtung, Leben als einen sich immer wieder selbst generierenden Prozess aufzufassen, nannte er 'Autopoiese' .
Leben ist ein Prozess. Vielleicht ist besser es zu akzentuieren als neues Begriff einführen. Ich weis in Philosophie hat es Verbreitung gefunden. Mir aber als fremdspachiger Person ist schwier diese beide Worte Poesie (Dichtung) mit Auto (Mechanismus) zu verknüpfen. Deswegen weigere ich mich in mein Wortarsenal dieses Begriff aufzunehmen, obwohl öfter höre es. Ich denke völlig genug diese Eigensschaft als Selbstorganisation zu bezeichnen
Das "Auto" in Begriff ist nicht zufällig, wie ich verstehe. In Wiki ist zu lesen:
"Um ein autopoietisches System zu sein, muss die Einheit Folgendes erfüllen:
....
-die Einheit ist ein mechanistisches System: die Relationen zwischen Komponenten bestimmen die Eigenschaften des Gesamtsystems
..."

Hier habe ich schon wieder Schwierigkeiten. Leben, bzw. Lebewesen als mechanistisches System? Schon Mutationen, die s.z. gesetzmässig auftreten, zeigen die Schwäche der mechanistischen Sicht. Die Grunddefinition eines Mechanismus wirft alle selbstorganisierende Prozesse weg. Es wird nur als Störfaktor betrachtet.
Die Relationen zwischen Komponenten bestimmen die Eigenschaften des Gesamtsystems immer, ob es eine chaotische oder eine mechanistische System wäre.

Zitat:
Er kommt zu dem Schluss, dass 'Erkennen' ein "andauerndes Hervorbringen einer Welt durch den Prozess des Lebens selbst" sei. (vgl. Der Baum der Erkenntnis, S. 7)
Zitat:
D.h., eine Zelle bspw. reagiert auf Reize nicht "reizverarbeitend" und "reizweiterleitend", sondern sie reagiert innerhalb der Parameter ihrer eigenen Struktur, d.h. auf die ihr eigene Weise auf das, was sie da irgendwie tangiert. Maturana spricht deshalb auch nicht mehr von einer ursächlichen Beeinflussung eines Organismus' durch Umweltreize, sondern er spricht von Pertubationen. Damit werden Zustandsveränderungen in einem System bezeichnet, die durch dessen Umfeld ausgelöst werden. Reize sind also Auslöser und keine Verursacher bestimmter Veränderungen innerhalb eines lebenden Systems.
Welches Unterschied ist zwischen Auslöser und Verursacher? Ich verstehe, wenn etwas was auslösst, dann wird das gleich zu Verursacher. Aber vielleicht behindert mich an Verständnis meine Sprache?!

"Welche neuronalen Aktivitäten durch welche Perturbationen ausgelöst werden, ist allein durch die individuelle Struktur jeder Person und nicht durch die Eigenschaften des perturbierenden Agens bestimmt." (Baum, S.27)
Ich denke, hier geht es um nicht mechanisch entschlüsseln zu können (mit Hilfe der Meßgeräte) unserer Gedanken, z.T. auch Gefühle. Ich sehe aber dabei kein Widerspruch zu Reflexion der Aussenwelt. DAs Leben ist ein Prozess, haben wir schon festgestellt. Prozess, das der Umwelt ausgesetzt ist. Jeder Prozess ist individuell. Wenn die erste Reiz fällt auf das Neugeborenen, fällt er s.z. auf eine dafür vorgesehene Gehirnregion, innerhalb aber hat er die Freiheit für die zufällige Wirkung. Das Neugeborene samelt die Reize, die noch keine Verbindung, keine Verknüpfung, keine Bedeutung für ihn haben. Wenn die Dichte übersteigt ein MAss, beginnen sich Verknüpfungen zu bilden, man bekommt ersten bewussten Eindrück, man beginnt die Bedeutungen zu erkennen.
Was ich damit sagen will, die individuelle Verarbeitung der Information steht nicht der Haupthese der Reflexion der Welt in Wege. Merkwürdige Weise, obwohl "neuronalen Aktivitäten durch individuellen Struktur und nicht durch Eigenschaften des pertubierenden Agens bestimmt werden", haben wir - nehme ich an - annäherend gleiches Verständnis für den Text, den man hier liesst. Es passiert durch individuelle Code für allgemeinen Begriffe, bzw. Bedeutungen, die jede auf verschiedene Weise reflektiert.

Gruß

Beitrag zuletzt bearbeitet von Irena am 01.12.2008 um 18:23 Uhr.
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