Zu allen Jahrtausenden haben ernste wie heitere Menschen nach dem Sinn des Lebens ge-forscht. Sie haben über den Ursprung, die Aufgaben und die Bestimmung des Menschenge-schlechts gegrübelt. Die einen fanden ihr Lebensziel darin, die Lust und die Freuden des Le-bens in möglichst vollen Zügen zu genießen und auszuschöpfen. Die anderen meinten, dieses Leben sei nur eine kurze, aber schwere Prüfung, eine Brücke zu einem besseren Jenseits oder einer ewigen Verdammnis. Während die einen an keine andere Zukunft als die eigene glaub-ten und einem oberflächlichen Materialismus huldigten, haben die anderen die Welt in Dies-seits und Jenseits auseinander gerissen.
Die verschiedensten Religionen malten sich je nach der Eigenart der Lebensumstände der Bevölkerung, der Religionsstifter und Verbreiter, der Nutznießer verschieden-artig aus. Pries-terkasten, Gurus, Führer und Herrscher machten mit dem Jenseits gute Geschäfte. Sie ver-kauften nach mannigfaltigem kultischem Zeremoniell für Lebende und Verstorbene Plätze, Vorzüge, Ehrenämter und Gnadengaben. Es war und ist ein sehr einträgliches Geschäft mit geringen Risken, weil kein Mensch aus dem Jenseits zurückkam und den Priester zur Rechen-schaft zog. Der Zauberer der Steinzeitkulturen nahm ebenso wenig Risiko auf sich, wie der orientalische Magier, der Priester, die zu einem entsprechenden Ablass den Gläubigen das Jenseits geschäftlich vermittelte.
Zu allen Zeiten gab es aber auch Menschen, die diesem Jenseits-Materialismus entgegentra-ten, Wissenschaftler, Ketzer, Reformatoren, die für ein funktionierendes, humanes Diesseits eintraten. Eine mittelalterliche Geschichte erzählt: Zwei Mönche eines katholischen Ordens malten sich in ihren wechselseitigen Unterhaltungen immer wieder das Jenseits aus. Sie stell-ten sich all die einzelnen Könige, die Abteilungen und Chöre der Engel und Seligen vor, die Rangunterschiede der einzelnen himmlischen Plätze, die überirdische Musik, die himmlischen Hallelujagesänge, den Thron Gottes mit Jesus zu seiner Rechten usw. Sie versprachen einan-der, dass derjenige, der zuerst stirbt, dem anderen in der ersten Nacht im Traume erscheint und ihm erzählt, wie es im Jenseits aussieht. Ist es so, wie sie es sich gemeinsam vorgestellt haben, dann sagt er einfach Totaliter, das heißt völlig oder vollständig. Ist es anders, dann sagt er Aliter, das heißt anders. Als nun der eine Mönch starb, erschien er tatsächlich in der ersten Nacht dem anderen. Aber er sagte nicht „Totaliter“ und nicht „Aliter“, sondern „totaliter ali-ter“, das heißt „vollständig anders“.
Das ist die Erkenntnis, nach der schon im Altertum ein „Leben nach dem Tode“ beschrieben wurde. Wer oder was auch immer über ein Leben nach dem Tode in einem Jenseits fabulierte, hat darüber einen Schleier gelegt. Es solle für uns ein Geheimnis sein. Kein Mensch darf sich anmaßen, über dieses Leben nach dem Tod besondere privilegierte Kenntnisse zu besitzen. Und doch greifen Glaubsbekenntnisse über unser irdisches Leben hinaus. Es ist der Wunsch, eine unbestimmte Zukunft zu ergründen. Es ist der Versuch, der Vergangenheit einen Sinn zu geben. Wir wissen, dass jeder von uns ein Glied in der endlosen Kette ist, die von den ältesten Ahnen bis zu den entferntesten Enkeln reicht, dass unser Erbe aus fernen Zeiten kommt und über unser Erdenleben hinweg in weite Zukunft mündet. Wir wissen von der genetischen Gemeinsamkeit, die alle Völker und Rassen dieser Erde umfasst aber auch von der geneti-schen Individualität. Und dieses Wissen weitet unseren Blick über Jahrtausende kollektiven Erlebens hin. Die Erkenntnisse der Geschichte geben uns die Kraft, der Versuchung unseres tierischen Erbes – dem egoistischen Gen – zu Gunsten eines differenzierten Altruismus zu widerstehen. So erhält die Weltgeschichte einen Sinn. Sie lässt uns die Ewigkeit ahnen und stellt uns hinein in den endlosen Kreislauf der Schöpfung.
Wie wir die Gegenwart meistern, wie wir handeln, wie wir entscheiden, so wird die Zukunft ein Teil unseres Lebens, wird die Vergangenheit Bestimmung haben. Wenn auch die Erfolg-reichen, die Mächtigen eine Eintragung in das Gästebuch der Weltgeschichte haben, sind sie nicht mehr, als Marken einer Zeitrechnung, Jahreszahlen im Verlaufe der Epochen.
Es liegt an uns, die Bestimmung der Evolution zu erfüllen, das heisst Freude, Liebe zu leben, aber auch Leid und Schmerz zu überwinden. Wir erfüllen den Sinn unseres Lebens, wenn wir unsere Kräfte und Fähigkeiten möglichst entfalten und gestalten, möglichst ausbilden und vollenden. Talente sind nicht nur Geschenk, sie sind auch Verpflichtung. Wir sind dazu auf Erden, dass wir die Schöpfung dem Wesen nach in unserem Geist, in unserer Struktur (Seele) fortführen.
Dass jedes Leben einen Sinn hat, dies lehren auch die Weltreligionen – jede zum Vorteil ihrer eigenen Hierarchien. Sie zwingen uns die Ehrfurcht vor einem All-Mächtigen auf. Aus dieser Furcht sollen wir Glauben, Mut und Hoffnung schöpfen, dass wir uns ein Jenseits nicht mate-rialistisch ausmalen, ein Jenseits, von dem wir nichts wissen und nie etwas darüber erfahren werden. Ein „Schöpfer“ habe uns alle irgendwo und irgendwie in dieses Leben gestellt. Ein „Bekenntnis“ zu diesem Schöpfer gäbe uns Kraft und Willen zum Diesseits, zum irdischen Leben. Scheingebilde ersetzen die Erkenntnis nach der Erfahrung, eine „Wirklichkeit“ jen-seits aller Logik und Vernunft in einem „metaphysischen“ Dasein.
Lieber Leser! Es ist für einen Agnostiker *) wie mich ausserordentlich schwer, sich in die Vorstellungen eines Theisten einzufühlen, denn ich achte jeden Menschen, der den eigenen Ansichten (und Wirklichkeiten) kritisch gegenüber steht. Meine ungeteilte Hochachtung vor der >Idee der „lebenden“ Informationseinheit „Zelle“< ist so groß, dass ich dahinter eine Absicht vermuten muß. Es ist zumindest die Notwendigkeit der Selbsterhaltung gegeben, die sich in einer Identität ausdrückt (und auch die Fähigkeit sich zu reproduzieren). Dieser Iden-tität kann eine „Wirklichkeit“ zugeordnet werden, sozusagen „ein Universum im Wassertrop-fen“. Mit dieser „Identität“ ist auch mindestens eine Aufgabe verbunden, sozusagen ein pri-märes Programm. Im Zellverband und seinen Strukturen werden verschiedene Funktionen die Fortführung des Programms ermöglichen, die der Figurine eines „Lebewesens“ entsprechen. Ob es weitere und/oder fortführende Programme gibt, die eine Schöpfungsidee ratifizieren, entzieht sich der Beweisführung. Aber die Fähigkeit der Erkenntnis übergeordneter Struktu-ren z. B. der Kausalgesetze, des Zufalls usw. allein müßte für ein Weltbild genügen, in dem auch Religion einen Platz hat. Ob der Religion allerdings ein Gottesbild, eine Hierarchie o-der ein Bedankensritual von Nutzen ist, wage ich zu bezweiflen.
*)(siehe z. B.
http://de.wikipedia.org/wiki/Agnostizismus)
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