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Vom Gottesvolk zur Weltgesellschaft

Thema erstellt von Luhmannius 
Beiträge: 8, Mitglied seit 17 Jahren
Liebe Zeit-Zeugen,

die Zeit ist die Bühne allen Wandels. Ergibt die Frage: Wer agiert auf dieser Bühne? Wer sorgt für den allfälligen Wandel? Ein tastendes Antwort-Angebot: Götter, Gott, Subjekte, Ideen, Evolution, Gedanken oder einfach nur Worte = Kommunikation?

Von den Göttern auf dem Olymp hatten die Menschen eine klare Vorstellung: Man versuchte sie mit dargebrachten Opfern auf seine Seite zu ziehen, wußte aber, sie sind eigenwillig und unberechenbar (eben wie Menschen). Aber: der von ihnen gelegentlich durcheinandergewirbelte Kosmos (das Wohlgeformte) ruhte auf drei starken Säulen, dem Wahren, Guten, Schönen. Die Verlaufsform allen Geschehens war kreisförmig: Nichts Neues unter der Sonne.

Gott, der große Buchführer, der treu sorgende Hausvater, der vorausschauende Allesbeherrscher von Zufall und Notwendigkeit, er schien den Menschen - bei aller Strenge - im tiefsten Grunde gerecht zu sein. Er verlangte Tugenden und Zuversicht: Seine Zeit verlief unaufhaltsam von seiner Schöpfung über die Apokalypse bis zum Heil der Guten am Ende aller Zeit mit der Verheißung der Auferstehung am jüngsten Tage; der Preis: Die Bösen waren verdammt, entweder auf Zeit (fegefeuer) oder auf ewig (Hölle). Die menschen wußten, woran sie waren.

Unter beiden Hinsichten galt bei den Philosophen der homo-mensura-Satz: Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Da Gott den Menschen nach seinem Ebenbilde geschaffen hatte, hatte das christliche Säkulum die griechische Hybris dieses Satzes glättend gelöscht.

Der in Gottes Hand sicher geborgene Mensch empfand sich mehr und mehr (zunächst noch als Beauftragter Gottes) als Subjekt und sagte sich selbstsicher "Männer machen Geschichte", und das (unten, im irdischen) allem zugrundeliegende Subjekt wurde zur Basis einer nach Vollendung der Welterkenntnis strebenden Vernunft.

Der Alleszermalmer aus Königsberg, Kant, der sich in einer harschen Fußnote der "Kritik der reinen Vernunft" ausdrücklich verbat, man möge ihn keinen Idealisten heißen, er sei transzendentaler Realist, er räumte mit überkommenden Idolen auf, die sich - von Platon herkommend, von Aristoteles kaum wesentlich verändert, auch das strenge Sieb der Clarté des Descartes passierend - bis in die Neuzeit gehalten hatten: Kant erklärte apodiktisch, die ohne Beobachtung formlose Natur erhalte ihre Gesetze vom Menschen. Raum und Zeit seien allem Denken apriorisch vorgegebene Kategorien des Erkennens und Beschreibens.

Der von Kant zum Selberdenken aufgeforderte Mensch, das Subjekt allen Erkennens, aufgerufen, sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien (sapere aude = wage es, selber zu denken), dieser Mensch, jetzt beim (Nach)Denken getragen und gestützt vom geschriebenen und gedruckten Wort, dank Luther und Gutenberg, dieser Mensch hatte nun einen langen und schweren Gedankenweg durch die historische Zeit vor sich. Erst hieß es, hinter aller Sprache verbirgt sich die unbekannte aber erkennbare Wahrheit, die es durch die Auslegekünste der Hermeneutik (Schleiermacher, Dilthey, Gadamer) freizulegen gelte.

Dieser Kinderglaube an eine gewisse, eine sichere Sicherheit, zerbarst wie Glas und den durchaus noch zögernden, suchenden aber dennoch entschlossenen Hammerschlägen unbeirrbaren Denkens solcher Männer wie Wittgenstein. Er resignierte und erklärte, alle Philosphie zappele wie ein Fisch auf dem Trockenen mit all ihren noch so klugen Worten in der Verwirrung der Sprache, deren Worte eben nur das bedeuten, was sie - getragen vom Zeitgeist - als gesetzte Worte bedeuten, weil siein ihrer Bedeutung abhängig seien von ihrer sozialen Praxis, von ihren menschengeschaffenen Kontexten (linguistic turn). Die Zeit, die ewige große Flut, hatte alle Schlacken der prima-vista-Vorurteile weggespült.

Nun war in der Zeit der Weg frei für Gedanken wie Evolution (planlos, ziellos, unprognostizierbar), Kybernetik (Eigenwerte) und Konstruktivismus. An guten Ende stand viel Freiheit (also auch Ungewissheit und damit Unsicherheit) und Heinz von Foerster sagte den verblüffenden Satz: "Über den Sinn eines Satzes entscheidet der Hörer/Leser". Das bedeutet zwar keineswegs Regellosigkeit, denn konforme Beachtung von (grammatischen) Regeln erfordert zur rechten Auslegung Meta-Regeln und (man denke an den Schiedrichter auf dem Feld oder den Richter hinter der Schranke des Gerichts) damit es im unendlichen Regress nicht zu Meta-Meta-Regeln kommen muß, die das Chaos nach sich zögen (denn Typentheorie war auch keine Lösung; zu Schrecken von Russel und Whitehead), muß am Ende eben entschieden werden. Entscheiden aber ist eine harte Sache: "Man kann nur Unentscheidbares entscheiden", wieder Heinz von Foerster (denn Entscheibares ist ja schon entschieden). Und Niklas Luhman meinte hierzu, leicht ironisch, zum Entscheiden reiche Rationalität nicht aus, es gehöre im konkreten Falle mindestens noch Intelligenz dazu (Für die Entwicklung dieser Konklusion braucht er in seinem posthum erschienenen Buch "Organisation und Entscheidung" (2000) ein ganzes Kapitel.

Und dies alles, weil die Welt sich bei der systemischen Beobachtung als so komplex erweist, und weil Beobachten Zeit kostet und stets gegenbeobachtet werden kann, dass Gewissheit zum raren Gut und zur knappen Ressource wird. Hierbei wird das Subjekt suspekt, es kann die Erkenntnislasten nicht mehr (allein) tragen. Luhmann entlässt die Subjekte (psychische Systeme) als denkende Anreger, die zwar nicht kommunizieren können, ohne die aber gesellschaftliche Kommunikation nicht liefe ("Hier zählt ein jeder Fluch der Ruderer in den Galeeren", Luhmann), er entlässt sie also in die Umwelt der gesellschaftlichen Funktionssysteme. Die Kommunikation ist jetzt Sache der Gesellschaft. Alle Kommunikation braucht Zeit und ist - als emergentes Ereignis - Sache der Gesellschaft; genauer: Kommunikation ist Gesellschaft und Gesellschaft ist Kommunikation. Alles folgt somit - weil Entscheidungsbasiert - letztlich ungeregelt geregelten Regeln. Unter diesen gedanklichen Voraussetzungen ist es nicht verwunderlich, wenn die Nationen mit der Zeit (der gesellschaftlichen Evolution) verblassen und es alles hinausläuft auf die eine umfassende Weltgesellschaft (Stichwort: Globalisierung).

Dies alles ist, bei allem Bemühen um Kürze, zweifellos "lang" geraten, aber: Es ist durchaus das Ergebnis einer streng bemühten gedanklichen Verknappung. Die Zeit der dies bewirkenden gesellschaftlichen Evolution hat real zweieinhalbtausend Jahre des Nachdenkens erfordert. Bei einigen Details muß also um Toleranz des Lesers gebeten werden.

Beste Grüße an alle Geduldigen: Berliner



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Berliner
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Tomm
Luhmannius,

Ich würde sagen, Ihre Mühe hat sich gelohnt. Allerdings möchte ich die Herren Schleiermacher, Dilthey und Gadamer gegen den Vorwurf, an einem Kinderglauben gelitten zu haben, in Schutz nehmen, obwohl ich mir meiner eigenen Unbedeutsamkeit und der daraus resultierenden defizienten Schutzfunktion meiner Anmerkungen duchaus bewusst bin. Wie soll man denn ohne Hermeneutiik dem Schrittum beikommen, beispielsweise moderner Lyrik? Ein Satz wie "Töten ist die Gestalt unseres wandernden Trauerns" (Rilke) ist doch nicht selbsterklärend. Und das hat überhaupt nichts mit irgendeiner vorgegaukelten Sicherheit zu tun. Ganz im Gegentel: Wegen der Unsicherheit bestimmter Terrains musste die Hermeneutik erfunden werden. Und dann behaupte nicht nur ich, dass sich wohl die Mathematik am ehesten dazu eignet, dem Kinderglauben einer vermeintlichen Sicherheit zu frönen.

Gruß Tomm
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Beiträge: 8, Mitglied seit 17 Jahren
Lieber Tomm und geschätztes Forum,

ich hatte gestern geantwortet, bin aber mit den Formalien dieses Forums (das mir sonst aber uneingeschränkt imponiert) offensichtlich nicht zurande gekommen: Weil ich (ohne dass ich es begreifen konnte) offenbar ein Zitat zitiert hatte (übrigens das Beste, was in der aneinanderanschliessenden autopoietischen Kommunikation geschehen kann), was hier (warum eigentlich) als FEHLER moniert wird. Ich versuche es deshalb noch einmal, ein Missverständnis auszuräumen:

Ich hatte leichthin "Kindertraum" argumentiert und entsprechend formuliert. Tomm, Sie haben mit Recht beanstandet, man dürfe die großen Hermeneutiker Schleiermacher, Dilthey und Gadamer nicht mit der generalisierenden Basisvermutung überziehen, sie seien kindlich oder kindhaft "naiv" gewesen. Wer so etwas galubte, wäre gewiß ein unterkomplexer "Trottel". Ich hoffe, nicht für einen solchen gehalten zu werden. Was ich sagen wollte, war Folgendes:

Alle Hermeneutiker als Textausleger gehen mehr oder weniger implizit bis explizit davon aus, dass sich "hinter" dem Text ein "eigentlicher" Text verberge, den es durch Hermeneutik, also durch Botenhilfe (der Gott Hermes war ja der Götterbote, der den wahren Beschluß der Götter kannte und ihn, betraut mit diesem Amt, getreu zu den Empfängern zu "hinter-bringen" hatte). In diesem Sinne hat der bewunderungswürdige Schleiermacher einmaliges geleistet für die Bibel-Exegese, Dilthey hat sich bemüht, ein objektives "System" der Geschichts-interpretation zu entwickeln (womit er ziemlich gescheitet ist; siehe aber: Peter Krauser "Kritik der endlichen Vernunft", Wilhelm Diltheys Revolution der allgemeinen Wissenschafts- und Handlungstheorie, Suhrkamp 1968) und Gadamer hat mit seinem Werk "Wahrheit und Methode", Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, den angestrebten Weg freizumachen gesucht, der zu einer universalen Erkenntnis führen sollte.

Das Problem aus heutiger Sicht ist: All dies, das historisch - in der Evolution der gesamtgesellschaftlichen Kommunikation - sicher unumgänglich und wohl auch unverzichtbar gewesen ist, all dies erscheint aus der Sicht der Luhmann'schen Systemtheorie und der sich aus ihr entwickelnden Beobachtungstheorie eines Peter Fuchs und Dirk Baecker et.al. schlicht und einfach als "unterkomplex", als "alteuropäisch" zu Subjektverhaftet und zu sehr Ontologiefixiert. Heute gilt: Alles, was gesagt wird, wird von einem Beobachter gesagt. Und in Konsequenz dessen: Alles Gesagte, als ein idiosynkratisches Beobachtungsergebnis, kann wiederun gegenbeobachtet werden uns so fort. Folge: Es gibt keine eindeutigen Objekte, und niemand kann als prominentes Erkenntnis-Subjekt erscheinen. Aller Erkenntnisausgang ist die startende Unterscheidung System/Umwelt, und diese Unterscheidung muß im weiteren Verlaufe des Erkennens (der gesellschaftlichen Kommunikation) auf der Seite des erkennenden Systems wieder "eintreten" (der berühmte "re-entry" des Georg Spencer Brown). Weitere Folge: Jede Unterscheidung ist mindestens ein Tripel: die linke (präferierte) Seite, die rechte Seite (dessen, was zunächst aus der Sicht des beobachtenden Systems ausgeschlossen ist (unabwendbare Momentan-Exklusion) und der "Barre" (dem "flash" dazwischen). Alles Beobachtende (sei es ein psychisches oder ein soziales System) ist eben kein "Ding", kein Subjekt, kein Objekt, es ist eher ein "Unjekt" (nach Peter Fuchs).

Siehe zu allem mindestens: "Soziale Systeme" (1984) und "Die Gesellschaft der Gesellschaft" (1997) von Niklas Luhmann; alles bei Suhrkamp.

Wenn ich geschrieben habe: Der "Kinderglaube" der alten Hermeneutiker, so war damit nichts weiter gemeint als diese Verkennung der tatsächlichen Komplexität der gesellschaftlichen Weltverhältnisse.

Beste Grüsse an alle

Berliner
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Berliner
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Tomm
Sehr geehrter Luhmannius,

wie soll aus einem Spannungsverhältnis von Vorwissen und eigenem Horizont, der im Dialog erweitert weden kann und in dem sich der hermeneutische Zirkel (der freilich kein Zirkel, sondern eher eine Spirale ist) abspielt, der Anspruch einer universalen Erkenntnis herauszulesen sein, wie Sie es Gadamer unterstellen. Mit Gadamer hat das wirklich nichts zu tun. Bei ihm besteht sehr wohl das Bewusstsein, das in der Dialektik des Verstehens das Selbe auch immer anders vestanden werden kann, dass das Eine auch immer das Andere ist (Logos bei den Griechen). Verstehen ist immer nur Annäherung an den Sinn. Es geht in Wahrheit um die Unendlichkeit von Sinnbezügen und vor allem um die Erfahrung der Unausschöpflichkeit des Sinns. Und was die Ontologisierung angeht, so hat Gadamer gesagt: "Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache." Das ist doch das genaue Gegenteil von dem , was Sie ihm unterstellen, und ähnelt sehr dem Wittgensteinschen "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt". Im Übrigen ähnelt Gadamers empirische Methode auch der Popperschen Falsfizierbarkeit. Ich glaube, dass hier ein Kinderglaube über die Hermeunitker besteht.

Und dann schreiben Sie von dem beobachtenden "sozialen System". Meinen Sie das im Ernst? Glauben Sie wirklich, dass es so etwas geben kann?

Gruß Tomm
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Beiträge: 8, Mitglied seit 17 Jahren
Lieber, geschätzter Tomm,

ich muss es erst einmal kurz machen (denn ich muss in die Nachbarstadt fahren), aber ich möchte Ihre Frage nicht so schwebend lassen, wie sie hier bei Ihnen steht:

Die moderne Beobachtungstheorie sieht vom Menschen (weil man über den Menschen kaum Verbindliches sagen kann). Beobachten können NUR Systeme, nämlich psychische Systeme (die dann wahrnehmen können, in der Psyche, und in ihrem Bewusstsein Gedanken prozessierend "verketten" mit Hilfe der sozial angelieferten Sprache, und: beobachten können soziale Systeme, nämlich durch Kommunikation. Dafür können soziale Systeme nicht wahrnehmen (nur kommunizieren), und psychische Systeme können nicht kommunizieren, sondern nur wahrnehmen und - bezogen auf die sie umgebende Gesellschaft - "utterances" (Geräusche) erzeugen, aus denen sich dann die beobachtenden Systeme über die Sinnbrücke das ableiten, worum es dann dem, der beobachtet "geht".

Unbedingt lesen: "Soziale Systeme" von Niklas Luhmann (Suhrkamp 1984) oder "Soziologische Aufklärung" (6 Bände; Westdeutscher Verlag; auch von Luhmann)

Für heute alles Gute

Berliner
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Berliner
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Tomm
@Luhmannius

O.K. werde mich baldigst um Systemtheorie kümmern.

Gruß

Tomm
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Beiträge: 1.177, Mitglied seit 18 Jahren
Ja, sein Hauptwerk ist ein "schönes" Buch... es gibt sogar immer wieder einmal etwas zum Lachen. Ich finde, man sollte dann aber auch vor allem Gregory Bateson kennen, und Humberto Maturana und F. Varela... denn Luhmann hat sich bei diesem Biologen und Neurobiologen bedient... ihrer naturwissenschaftlichen Theorie lebender Systeme.

Allgemein kann man hier folgende Namen nennen: "Claude Shannon, Alan Turing, Heinz von Foerster, Paul Watzlawick, Niklas Luhmann, Humberto Maturana, F. Varela, Gregory Bateson" (Wenn ich mich nicht irre, kannten sie sich auch fast alle persönlich und einige haben lange Zeit in dem von Foerster gegründeten Institut gearbeitet, in dem auch Maturana seine Theorie lebender Systeme entwickelte, die Luhmann zu seiner Arbeit inspirierte.)

Es ist zwar sehr subjektiv, aber mir gefällt seine Systemtheorie nicht... zu technisch. Außerdem gibt es nach wie vor Probleme mit Begriffen wie "Information", "Bedeutung", "Bewusstsein" etc.

Man braucht auch nicht zu erwarten, dass die Systemtheorie aus der Biologie, auf die er sich bezieht, tatsächlich alles Wissenswerte über Lebewesen verraten würde.

Beitrag zuletzt bearbeitet von Andre am 16.02.2007 um 16:43 Uhr.
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Beiträge: 1.503, Mitglied seit 17 Jahren
Die meiste Information über Systemtheorie habe ich aus Internet. Seine Bücher ist schwer zu lesen. Er führt viele Begriffe ein. Da muss erstmal durch, um überhaupt zu verstehen seine "Sprache". Das, was ich habe gelesen, hat mich jedenfalls nich in Euphorie versetzt. Vielleich, weil Erwartungen war zu gross.

Es gefällt mir nicht, dass er Liebe, Ethik, Moral zur Funktionssysteme erteilt, zu der zählen auch Wirtschaft, Politik, Recht, Wissenschaft, Bildung/Erziehung, Psychisches System (Mensch), Religion, Massenmedien, Kunst, Gesundheitssystem. Die letzten manifestieren sich "materiell": Geldinstituten, Produktionsstätten, Märkte, Recht und Sicherheit Institutionen, Forschung-, Bildung-Einrichtungen, Kirche und etc. Ihre Autonomität ich streite auch nicht.
Liebe, Ethik, Moral - sind es Funktionssysteme, die lassen sich abgrenzen? Für mich ist es Begriffe, die nur in Psychischen System haben Relevanz. Sie spiegeln sich mehr oder weniger in allen genannten Funktionssystemen, ohne Selbstautonomie.
Und den Mensch als System betrachten als gleichebener Partner für die Systeme wie Wirtschaft, Recht...und etc. finde ich auch nicht logisch. Letzendlich diese Systeme sind Folge seiner Handlungen.

Und noch was. Die Funktionssysteme lassen sich als Funktionssysteme des Staates erkennen. Was ist mit Volksmentalität, Volksabgrenzung? M.E. Volksmentalität ist (ausser staatlicher politische und Sicherheitssystem) die einzige Kraft, die wirkt entgegen Expansion der Wirtschaft.

Oder bin ich ganz daneben mit meinen Überlegungen?

Beitrag zuletzt bearbeitet von Irena am 17.02.2007 um 10:39 Uhr.
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Beiträge: 1.177, Mitglied seit 18 Jahren
Nein, so falsch liegst du da nicht. Ich habe deswegen auch diese Namen da zusammen mit Luhmann genannt. Das ganze ist natürlich schon sehr technisch.

Ich glaube für dich wäre der Existenzialismus oder Humanismus etwas besser? Ich finde solche stark unterschiedlichen Betrachtungsweisen faszinierend und man sollte das beste daraus machen.
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Beiträge: 1.503, Mitglied seit 17 Jahren
Hallo Andre,
ich hatte nie besonders an der Philosophie interessiert. Vielleicht wirkt es das, was ich sage hochnasig, ist es aber nicht. Ich hatte immer gedacht "Denken kann ich selbst". Ich habe viel gelesen, war so eine Leseratte (bin eigentlich noch). Bestimmt hatten mich und Humanismus, besonders russische Literatur Ende 19 - Anfang 20 Jahrhundert und Existenzialismus (Kafka liebe ich) direkt und indirekt bewirkt. Nur ich will mich nicht unter irgendeiner Flage setzen. Ich will Freiheit in diesem Sinne.
Ich hatte mal in Forum eine Diskussion mit einer Frau. Ihre Überlegungen waren für mich äusserst unlogisch. Gerade Logik, denke ich ist eine von meinen Stärken. Sie fragt mich:" hatten Sie Descartes gelesen? "- "Nein" - "Wie können sie denn über Logik reden?" - hat sie mir vorgeworfen. Muss ich dafür Descartes lesen, um logisch zu denken?! (Retorische Frage). Philosophen erfinden nicht Neues, sie lenken ihre und gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf der schon vorhandene Dinge. Sie machen bewusst , was früher war unbewusst und damit beeinflüßen das Denken der Gesellschaft.

Gruß

Beitrag zuletzt bearbeitet von Irena am 20.02.2007 um 08:08 Uhr.
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Beiträge: 8, Mitglied seit 17 Jahren
Geschätztes Forum,

es ist ein altes (doppeltes) Diskurs- oder Diskussions-Übel, wenn es um die Einschätzung der Luhmann'schen Gedankenwelt geht:

a) man hat irgendwo, irgendwann etwas von ihm, über ihn gehört, aber: man hat ihn nicht gelesen. Ihn zu lesen ist selbstverständlich Arbeit, man muss erst einmal hinein in diese durchaus neue Denkwelt und Gedankenwelt.
Einen Königsweg gibt es da nicht. Man ist demzufolge auch schnell in Gefahr, zu zeigen, dass man gar nicht verstanden hat, worum es diesem Luhmann geht.

b) die andere Schräge, auf der man schnell ins Rutschen kommt, ist der Umstand, der unsinnigen üblen Nachrede zum Opfer zu fallen, Luhmann habe von anderen die Begriffe und die damit verbundenen Gedanken und Bedeutungen "abgekupfert", ohne seine Quellen wahrhaft verstanden zu haben. Nichts unsinniger als das. Wahr ist: Luhmann hat viele Denker auf seine Weise beerbt, soll heißen: er hat ihre Denkfiguren übernommen, aber er hat ihren spezischen Denkinhalt, der meist immer an ein spezifisches Fach gebunden war, einfach zurückgelassen.

Luhmann will kein Philosoph sein wie HUSSERL, kein Biologe wie MATURANA, kein Evolutionist wie die NEO-EVOLUTIONISTEN, kein Kybernetiker wie HEINZ VON FOERSTER, kein Mathematiker wie GEORG SPENCER BROWN, auch kein Systemtheoretiker wie vielleicht VON GLASERFELDT und so weiter; die Aufzählung soll nicht vollzählig sein, nur Beispielhaft.

Er hat Figuren übernommen wie HORIZONT, SELBSTREFERENZ/FREMDREFERENZ, AUTOPOIESIS, VARIATION/SELEKTION/STABILISATION, BEOBACHTUNG ZWEITEN GRADES; UNTERSCHEIDEN-BEZEICHNEN sowie den RE-ENTRY, STRUKTUR/PROZESS/EREIGNIS, und wieder usw., denn zu nennen wären ja noch STRUKTURELLE KOPPLUNG, INTERPENETRATION, SYSTEM/UMWELT, MEDIUM/FORM ... Entscheidend ist hier allein: Was hat Luhmann hieraus gemacht! Man muss sich einfach unbefangen auf ihn einlassen und dann (staunend) sehen, was dabei herauskommt. Wer Luhmanns Denk- und Beobachtungs- und Unterscheidungsweise akzeptiert, der bekommt in der Wissenschaft Dinge zu sehen, die er mit anderen Denkmitteln eben nicht zu sehen bekommt. Das ist ja der Grund, dass sich inzwischen in vielen Disziplinen Denker gefunden haben, die den neuen Gesichtspunkten folgen, weil sie damit in ihrer Disziplin Einsichten gewinnen können, die ihnen bis dato verschlossen geblieben waren.

Wer das nicht sieht (oder nicht sehen will, oder kann), der muss sich selber nicht wundern, wenn alles, was er zum Thema Luhmann sagt, schnell als unterkomplex apostrophiert werden kann. Hierzu gehört auch das Sich-lösen-müssen von Denkfiguren wie Subjekt, Objekt, Ontologie, Konsens, Informationsübertragung, nochmals usw.

Deshalb kann man oft gar nicht innerhalb eines solchen Forums antworten, weil einfach der Raum fehlt, das Überholte gründlich und einsehbar abzulösen durch Gedanken, die in der Luhmann'schen Systemtheorie (und die seiner gedanklichen Nachfolger und Fortsetzer) plausibel UND schlussfähig sind.

Beste Grüsse an alle Bemühten

Berliner
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Berliner
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Beiträge: 1.177, Mitglied seit 18 Jahren
Zitat:
die andere Schräge, auf der man schnell ins Rutschen kommt, ist der Umstand, der unsinnigen üblen Nachrede zum Opfer zu fallen, Luhmann habe von anderen die Begriffe und die damit verbundenen Gedanken und Bedeutungen "abgekupfert", ohne seine Quellen wahrhaft verstanden zu haben.

Das ist sicherlich ein wenig auf meinen Beitrag bezogen. Meine Absicht war es aber nicht, Luhmann irgendetwas zu unterstellen, sondern nur in diesem Zusammenhang ein paar wichtige Namen zu nennen, die jedem helfen würden weitere interessante Literatur zu finden, falls er sich für das Thema interessiert.

Ich habe jedenfalls sein Werk "Soziale Systeme" im Original gelesen... mehr als einmal und ob ich es verstanden habe, weiß ich nicht.

Luhmann selbst meinte, man solle ihn bitte nicht zu ernst nehmen - ich finde, das ist ein sehr guter Rat, der für jedes Gedankengebäude gilt... ebenso wie man einen Neurolbiologen nicht zu ernst nehmen darf, wenn er sagt, Liebe wäre nur ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn.

Beitrag zuletzt bearbeitet von Andre am 21.02.2007 um 16:22 Uhr.
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