Willkommen in Manus Zeitforum
InformationenAnmelden Registrieren

Erweiterte Suche

Gleichzeitigkeit

Thema erstellt von Timeout 
Beiträge: 726, Mitglied seit 18 Jahren
Eine der Folgerungen der Relativitätstheorie ist die Relativität der Gleichzeitigkeit: Ob zwei Ereignisse Gleichzeitig sind oder nicht, hängt vom Beobachter (vom Bezugssystem) ab. Interessanterweise ist das eine der Folgerungen, die am meisten abgelehnt wird. Anscheinend ist die Vorstellung einer universellen Gleichzeitigkeit so fest in unserer Vorstellungswelt verankert, daß es schwer fällt, diese Vorstellung aufzugeben und eine relative Gleichzeitigkeit zu akzeptieren. Das ist um so erstaunlicher, als die Idee einer universellen Gleichzeitigkeit eigentlich eine gewaltige Konstruktion ist: Es ist die Annahme, daß man zu zwei beliebigen Ereignissen eindeutig sagen kann, ob sie gleichzeitig sind, selbst wenn z.B. das eine Ereignis auf der Erde, das andere im Andromeda-Nebel stattfindet, und die beiden Ereignisse nicht das Geringste miteinander zu tun haben. Diese Tatsache hat mich dazu gebracht, ein wenig über die Herkunft dieser Illusion nachzudenken.

Am Ausgangspunkt dieser Illusion steht auf jeden Fall die eigene Wahrnehmung. Die Wahrnehmung serialisiert die Dinge notwendigerweise, da unser eigenes Denken in einer linearen Zeit stattfindet. Das ist auch aus Sicht der Relativitätstheorie nachvollziehbar, da wir uns ja im Wesentlichen auf einer Weltlinie bewegen (wir sind natürlich ausgedehnt, aber das dürfte hier m.E. keine wesentliche Rolle spielen). Das heißt, es gibt eine "Gleichzeitigkeit der Wahrnehmung": Dinge werden entweder als gleichzeitig oder als nacheinander wahrgenommen.

Nun gibt es viele Dinge, bei denen wir automatisch aus der unmittelbaren Wahrnehmung abstrahieren. Zum Beispiel sehen wir einen gekippten Gegenstand perspektivisch verkürzt. Dennoch gleichen wir diese Wahrnehmung quasi automatisch aus: Niemand nimmt an, die Leiter wäre echt kürzer, wenn sie gekippt ist. Ähnlich ist es auch mit der Tatsache, daß entfernte Dinge kleiner scheinen. Mit der Gleichzeitigkeit ist es hingegen anders, und das, obwohl die Extrapolation von der Gleichzeitigkeit in der Wahrnehmung zur Gleichzeitigkeit in der Welt gleich doppelt ist: Schon in einem "Newton-Universum" ist die Wahrnehmungsgleichzeitigkeit nicht identlisch mit der Welt-Gleichzeitigkeit: Wir nehmen den Blitz eher wahr als den Donner, obwohl beide gleichzeitig entstehen, weil der Schall langsamer ist als das Licht. Wir sehen Sterne, die längst erloschen sind, weil das Licht so lange unterwegs war, um die kosmischen Entfernungen zu durchqueren.

Interessanterweise ist es für uns durchaus kein Problem, diese Wahrnehmungs-Gleichzeitigkeit zu abstrahieren und zu verstehen, daß Dinge, die wir gleichzeitig wahrnehmen (z.B. der Stern und das Haus, über dem er gerade steht), deswegen nicht gleichzeitig sein müssen. Daß wir also eine Gleichzeitigkeit nur durch Rückrechnen der Wahrnehmungsgleichzeitigkeit bekommen ("dieser Stern ist 65 Millionen Lichtjahre entfernt, also sehen wir den Stern, wie er vor 65 Millionen Jahren war"). Und doch halten wir hier intuitiv am Konzept der absoluten Gleichzeitigkeit ("zu jener Zeit lebten auf der Erde noch die Dinosaurier") fest, obwohl wir diese Gleichzeitigkeit eigentlich nur rechnerisch erhalten, und es streng genommen eine ungeheure Annahme ist, daß diese Größe universell sein soll. Daß also eine Relativität der Gleichzeitigkeit eigentlich die natürlichere Annahme ist, und doch war die absolute Gleichzeit für uns so selbstverständlich, daß meines Wissens nicht einmal Philosophen auf die Idee gekommen sind, diese in Frage zu stellen, bevor die Experimente ein Problem mit dieser Vorstellung aufzeigten. Und selbst dann brauchte es einen Einstein, um zu erkennen, wo das Problem wirklich lag.

Warum also ist die absolute Gleichzeitigkeit so fest in unserer Vorstellung verankert, daß wir solche Probleme damit haben, daß es sie nicht gibt, während wir doch rein logisch eher vorher Probleme hätten haben müssen, daß es sie geben soll (eine Erkenntnis, die mir sicher nicht gekommen wäre, wenn ich nicht schon gewußt hätte, daß die absolute Gleichzeitigkeit nicht existiert - sie ist eben etwas, was man normalerweise nicht hinterfragt, und genau darin lag m.E. die Genialität Einsteins, daß er erkannt hat, daß es da überhaupt etwas zu hinterfragen gab).

Nun, wie gesagt, habe ich mir dazu schon ein paar Gedanken gemacht, aber jetzt ist das hier schon so lang geworden, daß ich die Gedanken aufs nächste Mal verschiebe. Vielleicht kommen dann ja noch ein paar weitere Gedanken hinzu :-)
[Gäste dürfen nur lesen]
Beiträge: 726, Mitglied seit 18 Jahren
Ok, hier nun meine Gedanken zu diesem Thema:

Zunächst einmal spielt selbstverständlich eine Rolle, daß die üblichen Geschwindigkeiten nichtrelativistisch sind. Selbst Raketen, die ins All geschossen werden, sind so langsam, daß es schon einer Atomuhr bedarf, um relativistische Effekte zu bestimmen. Es ist einleuchtend, daß dies eine notwendige Bedingung dafür ist, daß wir das intuitive Konzept einer universellen Gleichzeitigkeit haben entwickeln können. Aber ist das schon alles?

Ich denke nicht. Es kommt noch mindestens ein weiterer Punkt hinzu. Stellen wir uns einmal vor, unsere Wahrnehmung beruhte nicht auf Licht, sondern auf Wasserwellen. Wasserwellen sind bekanntlich ziemlich langsam, und so wäre es alltäglich, daß wir uns nicht in der Reihenfolge einig wären, in der wir bestimmte Dinge wahrnehmen. In so einer Welt wäre es augenfällig, daß eine absolute Gleichzeitigkeit eine Abstraktion von der Wahrnehmung ist. In der Tat kann ich mir vorstellen, daß diese Abstraktion gar nicht intuitiv gelänge, sondern man nur durch Nachdenken auf die Idee käme, daß es so etwas geben könnte. In dieser "Wasserwellenwelt" wäre es also einem Philosophen oder Physiker vorbehalten, die Möglichkeit einer universellen Gleichzeitigkeit zu entdecken, dieselbe wäre vermutlich von Anfang an umstritten, und viele Menschen wären mehr als gewillt, dieses Konzept wieder aufzugeben, wenn neue Experimente zeigen, daß es ohne dieses Konzept besser geht.

Nun leben wir aber nicht in dieser "Wasserwellenwelt", sondern in einer "Lichtwelt": Unsere Wahrnehmung beruht zu einem großen Teil auf Licht, und das Licht ist so schnell, daß wir in irdischen Maßstäben gar nicht merken, daß es überhaupt Zeit benötigt. Wenn wir das Licht einschalten, dann ist es im Zimmer augenblicklich hell. Vor allem aber: Wenn wir zwei (nach irdischen Maßstäben) weit entfernte Ereignisse sehen, dann werden sich zwei Beobachter stets darüber einig sein, welches Ereignis zuerst stattgefunden hat, oder ob diese Ereignisse gleichzeitig waren. Das heißt, wir haben eine intersubjektiv wahrgenommene Gleichzeitigkeit, und daher konnte sich das Modell der universellen Gleichzeitigkeit in unserem Wahrnehmungsapparat verankern, und deshalb tun wir uns so schwer, deren Nichtexistenz zu akzeptieren.

Oder kurz zusammengefaßt: Wir haben die Illusion der absoluten Gleichzeitigkeit, weil das Licht so ungeheuer schnell ist. Und zwar, sowohl weil die Lichtgeschwindigkeit als Grenzgeschwindigkeit des Universums so hoch ist (so daß wir im Alltag keine relativistischen Effekte sehen), als auch weil die Lichtgeschwindigkeit als Signalgeschwindigkeit unseres wichtigsten Wahrnehmungsmediums so hoch ist (so daß selbst der "Wahrnehmungsrelativismus" durch die endliche Signalgeschwindigkeit verschwindet).
[Gäste dürfen nur lesen]
Beiträge: 1.851, Mitglied seit 18 Jahren
Wenn wir einen Gegenstand sehen, konstruieren wir uns ein Bild dieses Gegenstandes, indem wir nur die Lichtstrahlen benutzen, die gleichzeitig in unserem Auge ankommen. Noch deutlicher wird das, wenn wir mit Hilfe einer Kamera ein Bild des Gegenstandes aufnehmen. Fliegt dieser Gegenstand nun mit relativistischer Geschwindigkeit an uns vorbei, passieren merkwürdige Dinge. Laut Relativitätstheorie wird der Gegenstand in Flugrichtung verkürzt. ( = Lorentzkontraktion ) In allen Büchern, speziell populärwissenschaftlichen, kann man leider lesen, dass dieser Effekt beobachtbar wäre. Oft wird eine Welt vorgestellt in der die Lichtgeschwindigkeit sehr niedrig sein soll, so das man in ihr alle Gegenstände, die an einem vorbeifliegen, quasi zusammengestaucht, wahrnehmen würde. Dem ist aber überaschenderweise nicht so. Aufgrund der Tatsache, dass wir das Bild des Gegenstandes nicht aus den Lichtstrahlen zusammensetzen, die gleichzeitig von ihm wegfliegen, sondern aus denen, die gleichzeitig bei uns im Auge oder in der Kamera ankommen, sehen wir schnell an uns vorbeifliegende Gegenstände nicht kontrahiert, sondern gedreht. Die Lorentzkontraktion ist nicht sichtbar !
P.s: die Lorentzkontraktion hat nichts mit dem Dopplereffekt zu tun.
[Gäste dürfen nur lesen]
Beiträge: 1.851, Mitglied seit 18 Jahren
3oep341h/aQOs
[Gäste dürfen nur lesen]
Beiträge: 726, Mitglied seit 18 Jahren
"Beobachtbar" heißt in der Physik nicht unbedingt, daß Du es mit eigenen Augen sehen kannst (das könntest Du bei solch schnellen Objekten ohnehin nicht, da unsere Wahrnehmung viel zu träge ist, um so schnelle Vorgänge aufzulösen). Es bedeutet nur, daß man es mit realen Geräten nachweisen kann (das kann auch nachträgliche Rechnungen beinhalten, wie eben das Herausrechnen der Lichtlaufzeit).
[Gäste dürfen nur lesen]
Beiträge: 1.851, Mitglied seit 18 Jahren
Hups, was ist denn da mit meinem letzten Beitrag passiert ? Kann mir das einer bitte mal erklären???

Beobachtbar heißt messbar, schon klar. Die Messung muß ich aber irgendwann mal mit eigenen Augen anschauen und das könnte dann ein Foto eines sich mit relativistischer Geschwindigkeit bewegenden Objektes sein. Und warum soll meine Wahrnehmung zu träge sein , so ein Objekt live zu beobachten ? Kommt doch wohl auf die Winkelgeschwindigkeit an. Oder ? Ich wollte ja nicht die Lorentzkontraktion leugnen.
[Gäste dürfen nur lesen]
avatar
Manu (Administrator) https://wasistzeit.de
Beiträge: 715, Mitglied seit 19 Jahren
Hallo zara,
es gab am 17.03. einige Datenbank-Ausfälle auf dem wasistzeit-Server, die sicherlich aus der Umstellung auf die neueste PHP-Version resultieren. Ich habe direkt in der Datenbank nachgesehen und der hinterlegte Inhalt entspricht leider dieser seltsamen Zeichenfolge. Das bedeutet, dass dein Eintrag leider den Arbeiten für diese Server-Umstellungen zum Opfer gefallen ist, die die Firma Host Europe zu diesem Zeitpunkt durchführte.
[Gäste dürfen nur lesen]
Beiträge: 1.851, Mitglied seit 18 Jahren
Es gibt auch eine "biologische Gleichzeitigkeit". Alle Signale, die enger beieinander liegen als 30 msec werden von uns als gleichzeitig empfunden. Sie können noch getrennt aber nicht mehr in eine zeitliche Abfolge gebracht werden. Signale unterhalb einer bestimmten Koinzidenzschwelle können überhaupt nicht mehr aufgelöst werden. Sie werden als ein einziges Signal empfunden. Diese Koinzidenzschwelle ist für verschiedene Sinne unterschiedlich hoch.
akustisch 2 -3 msec , taktil etwa 10 msec , visuell etwa 20 msec.
Das subjektiv erlebte "Jetzt" hat eine Ausdehnung von etwa 3 sec.
Diese Werte sind unabhängig von Sprache und Kultur.
[Gäste dürfen nur lesen]
In diesem Forum dürfen nur Mitglieder schreiben. Hier kannst du dich anmelden
Zum Seitenanfang Nach oben