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Komplexität

Thema erstellt von Modran 
Beiträge: 683, Mitglied seit 17 Jahren
Ich beginne diesen Thread, da sich die Diskussion in einigen anderen Threads in diese Richtung entwickelt (unabhängig von deren eigentlichem Themen).

Behauptung:
"Damit sich etwas Komplexes aus etwas Einfachem entwickeln kann, muß dieses 'Einfache' bereits eine Komplexität aufweisen, die (auf einer sinnvollen Skala) größer als Null ist."

Fragen:
1. Stimmt das?
2. Wenn ja, woher bezieht das Allereinfachste seine Grund-Komplexität?
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Beiträge: 683, Mitglied seit 17 Jahren
(meine Antowerten leuten:
1: ja. und
2: das werden wir wohl nie erfahren.
Man sieht schon, daß ich zumindest mit derzweiten. Antwort nicht ganz zufrieden bin, also laßt Euch mal was einfallen ;)
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Beiträge: 683, Mitglied seit 18 Jahren
Hallo Modran,

eigentlich fragst Du ja nach dem Uranfang der Welt; woher kam all dieser Weltstoff, der größer ist als Nichts -- ja, der sogar größer ist als Eins, damit er komplex genug ist, um unterschiedliche Formen annehmen kann.

Ich stimme Dir in Deinen beiden Antworten zu.

"... also laßt Euch mal was einfallen ;) ..."

Dem Papst fällt dazu bestimmt was ein ;-) Was meine Wenigkeit betrifft, mir fällt erwartungsgemäß nichts ein. Ich bin nur ein kleiner Agnostiker.

Cheers,
|-|ardy
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Beiträge: 683, Mitglied seit 18 Jahren
um = und
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Beiträge: 683, Mitglied seit 17 Jahren
Ich versuche das Problem (unter anderem) mathematisch zu betrachten.
Deshalb interessiere ich mich sehr für zellulare Automaten, Julia-Mengen und ähnliches.
Wie kann man mit der kleinstmöglichen Formel (bzw. ein System, daß mit den geringstmöglichen Annahmen auskommt) eine höchstmögliche Komplexität erzeugen?

Und wie kann man eigentlich Einfachheit und Komplexität sinnvoll unterschiedlich definieren, wenn das eine aus dem anderen automatisch folgt?
Sprich: wie kann man sagen, diese Formel ist einfacher, erzeugt aber etwas komplexeres - wenn die Formel und ihr Ergebnis doch nur die zwei Seiten derselben Münze sind?
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Beiträge: 1.851, Mitglied seit 18 Jahren
Es gibt noch keine vernünftige Definition, kein vernünftiges Maß für Komplexität.
Bis heute gibt es nur Kolmogorovs Vorschlag, Komplexität sei die kürzest mögliche Beschreibung ( in Binärzeichen ) eines Objekts.
Dann aber ist das Geklimpere eines Schimpansen auf einem Klavier von größerer Komplexität, als eine Bach`sche Fuge. Das empfinde ich als zutiefst unbefriedigend. Algorithmische Komplexität also ein unbrauchbares Instrument.

Neue vielversprechende Ansätze gibt es aber.
Einer davon ( Rolf Landauer ) ist prozessorientiert. Die Menge, der im Laufe eines Prozesses ausgesonderten Information, besagt, wie komplex das Produkt ist. Um E = mc^2 zu erhalten, musste Einstein einiges an überflüssiger Information aussondern. Er hat lange am Produkt gearbeitet.
Um das menschliche Genom zu erzeugen, musste die Natur sehr lange an der DNA unserer Vorfahren arbeiten, vieles wurde aussortiert. ( Lilien haben immer noch eine längere DNA als Menschen )
Zitat: "Tiefe ist ein Ausdruck dafür, daß etwas mit der Welt in Wechselwirkung gestanden hat. Es ist verändert, aber immer noch es selbst, aus dem Gleichgewicht, aber nicht außer sich. Es hat Überraschungen erlebt, aber es ist noch da. Es hat die Welt gespürt, sie hat ihm ihre Spur eingeprägt. Es ist tief geworden.
Tor Norretranders

Modran fragt: "Damit sich etwas Komplexes aus etwas Einfachem entwickeln kann, muß dieses 'Einfache' bereits eine Komplexität aufweisen, die (auf einer sinnvollen Skala) größer als Null ist."
Ich glaube nicht. Meines Errachtens ist das Universum schöpferisch. Meines Errachtens kann aus Null ( = Nichts ) Etwas werden. Nur die Gesamtsumme bleibt Null. Positive + negative Ladung = 0.
Deine Argumentation träfe zu, wenn die Welt sowas wie ein zellulärer Automat wäre. Die ganze Geschichte der Welt wäre dann nur ein "Ausrechnen" des Startprogramms. Die Komplexität dieser Welt ließe sich sinnvoll nach Kolmogorof berechnen. Ihre Komplexität wäre zeitunabhängig konstant.
Vielleicht aber ist die Entwicklung der Welt manchmal revolutionär ( völlig Neues entsteht) anstatt evolutionär.
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Beiträge: 683, Mitglied seit 18 Jahren
Wenn man nur das Timing, die Anzahl und die Intervalle der Noten betrachtet, hat man eigentlich noch nicht alles aus Bachs Fugen wahrgenommen. Dann ist in der Tat der Jazz eines Schimpansen komplexer, weil er weniger Regelmäßigkeit in sich hat. Aus dieser doch eher oberflächlichen Betrachtung muss es nicht unbefriedigend sein, wenn der Schimpanse komplexeres erschuf als Bach.

Aber Bachs Fugen sind weitaus emotionaler (jedenfalls für einen Bach-Fan). Und nur darum geht es ja in der Musik; um Emotionen. Sicherlich spielen auch beim Schimpansen Emotionen eine Rolle; in seiner Musik sind sie aber vermutlich nicht so vielschichtig wie bei Bach und seinen Fans. Aus dieser Betrachtung sind Bachs Fugen wohl weitaus komplexer.

Eine Emotion zu beschreiben halte ich derzeit für unmöglich, weil sie unendlich komplex zu sein scheint. Man kann ihr zwar ein Sprachsymbol zuordnen, so dass andere Emotionsgenossen wissen, welche Emotion gemeint ist. Aber die Emotion an sich (sprich: Ich-Bewusstsein!) ist bisher ein unbeschreibliches Phänomen. Es ist so komplex, dass es weder im praktischen noch im theoretischen Experiment modelliert werden kann, es sei denn, wir reprodzieren es in uns selbst. Wir können es aber beispielsweise nicht in einem Computer reprodzuieren, beziehungsweise, wir wissen nicht, ob ein Computer Emotionen in sich hat. Wir wissen es nicht, weil dieses Phänomen unsere heutige urteilende (zusammenhang-erkennende) Intelligenz weit überfordert.

Man könnte einwerfen, die Unbeschreiblichkeit der Emotion habe nichts mit Komplexität zu tun. Da stimme ich dagegen, weil Emotion letzlich auch Teil dieses einen Universums ist und offenbar gewissen Gesetzmäßigkeiten folgt. Daher denke ich eher, es liegt an der ungeheurlichen Komplexität der Emotion, dass wir sie einem fremden Wesen, wie zum Beispiel einem Computer, nicht vermitteln können.

Achtung: Ich rede hier von der Emotion an sich -- metaphysisch, wenn man so will. Ich rede hier nicht von einer (scheinbar) komplexen "Gefühlsduselei", wo der Fühlende nicht weiß, wo ihm der Kopfe steht; da sucht der Fühlende nur nach dem richtigen Sprachsymbol für seine momentane Emotion. Das ist im Grunde nicht besonders komplex. Das ist Sache der Psychologie. Das ist etwas anderes. Es geht mir hier nur um das Phänomen des Gefühls an sich.

Mit anderen Worten, in den Notenstrukturen von Bach steckt mehr Komplexität, als es zunächst oberflächlich betrachtet erscheint.
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Beiträge: 1.177, Mitglied seit 18 Jahren
Zitat:
--
Wenn man nur das Timing, die Anzahl und die Intervalle der Noten betrachtet, hat man eigentlich noch nicht alles aus Bachs Fugen wahrgenommen. Dann ist in der Tat der Jazz eines Schimpansen komplexer, weil er weniger Regelmäßigkeit in sich hat. Aus dieser doch eher oberflächlichen Betrachtung muss es nicht unbefriedigend sein, wenn der Schimpanse komplexeres erschuf als Bach.
--

Ich denke, das hier eine etwas falsche sichtweise drin steckt.

Zum Beispiel sind mit die komplexesten und auf natürliche weise entstehenden Netzwerke eine Mischung aus Ordnung und Chaos, die nur durch "Zufall" allein nicht entstehen kann.

Komplexität auf die Reale Welt bezogen würde ich so defineren: Komplexität ist ein Maß für die Informationsmenge, die ich benötige, um einen Systembestandteil eindeutig zu beschreiben. Um so weniger Information ich benötige, um so höher ist die Komplexität.

Diese Art der Definition stellt sicher, das sowohl Chaostische Systeme (Systeme im thermodynamischen Gleichgewicht), als auch Systeme in absoluter Ordnung (Irgend ein Kristall) wenig Komplexität besitzen.

Dagegen hat eine Lebensform eine hohe Komplexität, weil ich viele Bestandteile durch wenige Informationen über ihre Wechselwirkungen mit anderen Bestandteilen beschrieben werden können.

Aufs Universum übertragen könnte man dann sagen: "Unser Universum wäre sehr komplex, wenn es keinen weiteren Planeten im Universum gäbe, von dem der Sternenhimmel genau so aussieht, wie von unserem.
Denn dann könnten wir wahrscheinlich unsere Postion bereits eindeutig anhand der Sterne angeben, die wir mit bloßem Auge sehen.
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Nike
Behauptung:
"Damit sich etwas Komplexes aus etwas Einfachem entwickeln kann, muß dieses 'Einfache' bereits eine Komplexität aufweisen, die (auf einer sinnvollen Skala) größer als Null ist."

Fragen:
1. Stimmt das?
2. Wenn ja, woher bezieht das Allereinfachste seine Grund-Komplexität?

1. Das stimmt nicht. Entwicklung benötigt ein Gesetz. Und das Gesetz an sich ist schon komplex.

2. Hat sich erledigt wegen 1.
Trotzdem: Das Einfach und Komplizierte ist gewollt vom Urgrund=Gott.
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Beiträge: 1.177, Mitglied seit 18 Jahren
Man benötigt nichts weiter als ein einziges Prinzip Nike - und das kann so simple sein, wie man es sich vorstellen kann.

Simulationen sind zwar keine Beweise, aber ich habe irgendwo im Forum mal ein Beispiel gegeben, das zeigt, wie aus einer einfachen Regel eine komplexes Fraktal entsteht - aber ein natürliches Fraktal, das unvollkommen ist und wir nur als solches erkennen, weil wir auf Mustererkennung spezialisiert sind.

2. Nichts ist gewollt und Geplant. Das bestes Beispiel dafür, dass die Natur nur den "Moment lebt" und sich keine Sorgen für die Zukunft macht, ist ja der Mensch selbst.

Er hatte im Laufe der Evolution einen selektiven Vorteil, doch auf lange Sicht kann er dass Ende des Ökosystems Erde bedeuteten, weil er die Entropieproduktion Jährlich um min 6 % erhöht - außerdem hat er wahrscheinlich das 6 große Artensterben in der Geschichte dieses Planeten ausgelöst. - Wenn hier etwas gewollt und geplant wäre, na dann ist Gott in Sachen Planung und Logistik ja noch mieser als wir.
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Beiträge: 1.851, Mitglied seit 18 Jahren
Hi André,
folgendes versteh ich nicht: "Komplexität ist ein Maß für die Informationsmenge, die ich benötige, um einen Systembestandteil eindeutig zu beschreiben. Um so weniger Information ich benötige, um so höher ist die Komplexität."

Wie ich selbst weiter oben Kolmogorovs Maß beschrieb, kann man wahrscheinlich auch nur missverstehen. Also nochmal :
Ein Maß für Komplexität ist laut Kolmogorov die Länge der kürzest möglichen Beschreibung ( in Binärzeichen ) eines Objekts.

Sieht aus als wäre diese Definition das Gegenteil zu deiner ?
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Beiträge: 1.177, Mitglied seit 18 Jahren
Hm, ja, in gewisser weise schon.

Meine dargelegte Definition zielt darauf ab, dass die einzelnen Bestandteile eines Objektes durch möglichst wenig Information von allen anderen Bestandteilen des Objektes unterschieden werden können.
Und dies ist normalerweise dann der Fall, wenn ich ein System zwischen Chaos und Ordnung habe, wie zum Beispiel eine Lebensform.

Bei einem sehr geordnetem Objekt, wie einem Kristall benötigte ich dagegen ziemlich viel Information, um die einzelnen Bestandteile eindeutig zu beschreiben.

Sinn dieser Definition ist es eigentlich nur, sicher zu stellen, dass so etwas wie eine Lebensform komplexer ist, als ein Kristall oder ein System im völligen Chaos.


Das muss aber nicht im wiederspruch mit Kolmogorovs Vorschlag stehen, denn wie du selbst geschrieben hast: "Lilien haben immer noch eine längere DNA als Menschen", ist die Beschreibung des Menschen kürzer.

Allerdings dürfte die Beschreibung eines Kristalls noch kürzer sein und das haut dann wieder nicht hin, weil ein Kristall wohl kaum komplexer ist als ein Einzeller.
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Beiträge: 1.851, Mitglied seit 18 Jahren
Ein Kristall scheint mir geradezu ein Paradebeispiel für Kolmogorovs Komplexität zu sein.
Du mußt nur das Atom ( z.B. Kohlenstoff ) oder das Molekül definieren, aus dem der Kristal aufgebaut ist. Dann mußt du nur noch die Gitterstruktur angeben, um beliebig große Kristalle mit dem gleich großen ( bzw. kleinen ) Satz an Information zu beschreiben.
Ein Gramm Diamant ist also nicht komplexer als ein Kilöchen. Bißchen teurer vielleicht.

Reicht bei einem Lebewesen die DNA zur Beschreibung seiner Komplexität ? Sicher nicht zur Beschreibung seiner im Laufe seines Lebens (ontogenetisch ) erworbenen Komplexität !

Der Witz ist, wir können alle intuitiv Komplexes von weniger Komplexen unterscheiden. Nur ist es anscheinend noch nicht gelungen, ein befriedigendes mathematisches Maß der Kompexität zu definieren.

Als begeisterter Jazzfan darf ich an dieser Stelle noch daraufhinweisen, dass diese Musikform sehr, sehr komplex ist und mit dem Geklimpere eines Affen nix zu tun hat ( außer der Spontanität vielleicht ). Zeit in klassischer Musik und im Jazz, das wär auch mal ein Thema. Überhaupt haben wir meines Wissens in diesem Forum noch nie von Musik gesprochen. Nirgends wird Zeit so sinnlich faßbar wie in der Musik. Aber das ist, nicht das Thema dieses Threads.

Hab mal irgendwo gelesen in omplexeren Systemen könnte die Zeit (in Abhängigkeit von der Komplexität ) langsamer vergehen, als in weniger komplexen. Weiß da jemand Bescheid ?
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Beiträge: 683, Mitglied seit 17 Jahren
@Andre:
"Bei einem sehr geordnetem Objekt, wie einem Kristall benötigte ich dagegen ziemlich viel Information, um die einzelnen Bestandteile eindeutig zu beschreiben."

Deine Definition zielt darauf ab, wie unterschiedlich die Einzelteile des zu beschreibenden Systems sind?
Das ist etwas ungewöhnlich, da muß ich erstmal umdenken.
(Normalerweise betrachtet man die Informationsmenge die man benötigt, um das Gesamt-Objekt eindeutig zu beschreiben.)

Ist demnach ein Kristall aus 100 Atomen weniger komplex als einer aus 50?
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Beiträge: 726, Mitglied seit 18 Jahren
Ok, ich versuche mich jetzt auch an einem Versuch zur Definition der Komplexität:

Komplexität ist der Unterschied zwischen der Summe der Informationen der Teilsysteme und der Information des Gesamtsystems.

Beispiel:

1. Reiner Zufall: Aus einem Teil des Systems kann nicht auf das Gesamtsystem geschlossen werden. Daher Komplexität 0.

2. Totale Regelmäßigkeit: Die Teile enthalten selber kaum Information, wenn ich die (ebenfalls geringe) Gesamtinformation abziehe, dann ist das Ergebnis noch etwas kleiner.

3. Text: Enthält viel Information (wenngleich deutlich weniger als ein rein zufälliges System), aber wenn ich einen Teil kenne, dann weiß ich schon einiges über den Rest (z.B. kann ich aus der Einführung der Person "Alice" schließen, daß diese Person vermutlich noch eine Rolle spielen wird). Dennoch kann ich den Rest nicht aus dem bereits bekannten Teil schließen.

Im ersten Extremfall haben wir zwar große (Shannon-)Informationswerte, aber diese löschen sich bei der Subtraktion gegenseitig aus.
Regel: groß minus ähnlich groß = klein

Im zweiten Extremfall haben wir von vornherein nur wenig Information.
Regel: klein minus klein = klein

Für den realen Text ziehen wir eine große Information von einer noch viel größeren Information ab.
Regel: groß minus nicht ganz so groß = groß
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Beiträge: 1.851, Mitglied seit 18 Jahren
Hi Timeout,
wenn wir ausschließlich mit Shannonscher Information arbeiten ist die Gesamtinformation immer gleich der Summe der Teilinformation.
Wir brauchen also ein anderes Maß für Information. Hier bietet sich der algorithmische Informationsgehalt an, der ist aber identisch mit dem Kolmogorovmaß für Komplexität.
Neu wäre jetzt aber deine Differenzbildung. Das klingt interessant, da muss ich mal ne Zeitlang drüber nachdenken.

Def: Sei s eine Folge von Nullen und Einsen, dann ist I (s) = L(pmin.)
Soll heißen: Die algorithmische Informationsmenge, die in einer Binärzahl s steckt, ist gleich der Länge des kürzesten Computerprogramms oder Algorithmus pmin, welcher in der Lage ist, s zu erzeugen.

Was verstehst du unter Summe der Informationen der Teilsysteme ? Wenn wir das passend definieren, könnte was Sinnvolles entstehen.
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Beiträge: 726, Mitglied seit 18 Jahren
Zitat:
wenn wir ausschließlich mit Shannonscher Information arbeiten ist die Gesamtinformation immer gleich der Summe der Teilinformation.
Definitiv: Nein.

Nehmen wir ein ganz einfaches Beispiel:

Nehmen wir an, wir bauen eine Bitsequenz aus zwei-Bit-Sequenzen auf, wobei nur die Sequenzen 00, 01 und 10 vorkommen können, und zwar mit gleicher Wahrscheinlichkeit. Das heißt, die Sequenz könnte z.B. folgendermaßen anfangen:

0010000110010001100100...

aber nicht folgendermaßen:

0011010010110100110010...

Teilen wir nun die Sequenz in die ungeraden und geraden Stellen auf. Das heißt, aus der obigen möglichen Sequenz erhielten wir die beiden Teilsequenzen

0_1_0_0_1_0_0_0_1_0_0_...
_0_0_0_1_0_1_0_1_0_1_0...

In jeder dieser Teilsequenzen sind nach Konstruktion die Bits statistisch unabhängig. Außerdem ist bei beiden Teilsequenzen die Wahrscheinlichkeit P(0)=2/3 und P(1)=1/3. Damit erhalten wir für jede Teilsequenz eine Information von -2/3 ld 2/3 -1/3 ld 1/3 = 0.9183 bit/Bit. Die Summe beider Teilfolgen hat also 1.8366 bit/Bit.

In der Gesamtsequenz hat jede Zweibitsequenz mit gleicher Wahrscheinlichkeit einen der drei Werte 00, 01 oder 10. Damit ist die Information pro Zweibitsequenz gleich ld 3 = 1.5850 bit, was einer Gesamtinformation von nur 0.7925 bit/Bit entspricht.

Für diese Aufteilung kämen wir also mit meiner Definition auf eine Komplexität von 0.1258 bit/Bit.

Meine Definition ist allerdings noch ein wenig unvollständig, weil sie nicht berücksichtigt, daß man ein System auf unterschiedliche Weise aufteilen kann (hätte ich im Beispiel die Bitfolge einfach in der Mitte getrennt, dann wäre ich bei einer geraden Zahl von Bitpaaren in der Sequenz auf eine Komplexität von 0 gekommen). Man müßte die Differenz für alle möglichen Aufteilungen bestimmen, und dann irgendeine Vorschrift finden, wie man sie zur Gesamtkomplexität zusammenfaßt. Vielleicht Mittelwertbildung?
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Beiträge: 1.177, Mitglied seit 18 Jahren
Hallo Modran,

Zitat: "Deine Definition zielt darauf ab, wie unterschiedlich die Einzelteile des zu beschreibenden Systems sind?
Das ist etwas ungewöhnlich, da muß ich erstmal umdenken."


Ne, das System kann vom mir aus auch aus fast identischen Teilen bestehen. Es geht darum, zum Beispiel eindeutig anzugeben, wo sich ein spezielles Teilchen in diesem System befindet. Da ich mich nicht einfach auf irgendein "Hintergrundkoordinaten-System" beziehen kann, muss ich die Postion des Teilchens relativ zu seiner Umgebung beschreiben.

Wenn die Umgebung sehr geordnet ist, dann gibt es viele Teilchen im System, bei denen die direkte Umgebung gleich aussieht, weswegen ich sehr viel mehr Information benötige.
In einer Umgebung im völligen Chaos sieht es nicht viel besser.

Bei einer Umgebung zwischen Ordnung und Chaos, also einer Umgebung die "natürlich" strukturiert ist, benötige ich sehr viel weniger Information, um die Postition eines Bestandteils eindeutig zu beschreiben, weil es vorkommen kann, dass bereits die unmittelbare Umgebung nur ein einziges mal in der Art vorkommt.

Vielleicht ist das ganze nicht so sinnvoll, dieser Begriff für Komplexität zielt auf etwas anderes ab, es ist also weder ein Ersatz noch eine Konkurrenz für die anderen Definitionen hier im Thread.
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Corn
um es (hierbei ausnahmsweise mal =) )mit platon zu halten denk ich:
selbst das Einfache hat die Potenz zur Komplexität. Sie entwickelt sich nicht selbsttändig sondern braucht eine Art Anreiz dazu. Also ungleich wie sich die Zelle zu einem komplexen Organismus entwickelt, da sie die information zur "Unordnung" bereits in sich trägt. Die Potenz des Einfachen zum Komplexen geschieht durch etwas komplexes, das von außen einwirkt.
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Beiträge: 683, Mitglied seit 18 Jahren
Hi Zara, alter Jazzer :-) Die Ehrenrettung des Jazz anhand seines "Komplexitäts-Maßes" also? Hmmm ... nichts gegen Jazz. Aber ist Musik notwendigerweise umso schöner, je komplexer sie ist? (Übrigens, beim Schimpansen-Modell dachte ich mehr an Free Jazz und Stockhausen als an eine Dixie-Jazz-Band, haha).



Zum Thema "Komplexitäts-Maß" eine Frage an alle:

Bit-Information schön und gut. Kein Einwand. Woher bekomme ich aber die Information, was dieses und jenes Bit zu bedeuten hat? Zu dessen Beschreibung benötige ich doch wiederum Sprachinformation. Was ist Raum, Zeit, Punkt, Intervall, Winkel, Raster und so weiter? Und auch zu deren Erklärung brauche ich wiederum zusätzliche Information. Das ist ein hierarchisches Informations-Gebilde ohne Ende.

Wir haben hier sozusagen wieder das Problem der Undendlichkeit, das die Mathematik logisch nicht auflösen kann (Grüße an Frege und Russell).

Um dem unendlichen Informationsbedarf wenigstens ein "unscharfes" Ende zu setzen, muss ich ein Subjekt vorraussetzen (z.B. ein Mensch), das ein Minimum an "angeborener Vernunft" besitzt, sprich: ein Minimum an Information bereits "in sich" mitbringt.

Das könnte darauf hindeuten, dass das Maß der Komplexität weniger eine mathematische, sondern vielmehr eine philosophische Angelegenheit ist. Ähnlich wie beim Maß für Intelligenz (IQ) scheint die Mathematik hier nur eine über den Daumen gepeilte Annäherung anbieten zu können, und zwar für alle Zeiten. Lasst alle Hoffnung fahren. Es gibt kein perfektes Maß. Nur eine Annäherung.



Zuletzt noch etwas praktische Inspiration -- nicht todernst gemeint, aber auch nicht ganz ironisch:

Daten-Kompression! Vergleicht mal praktische Kompressiontechnologie mit Komplexität.

Nehmt Eure Bits, speichert sie als BMP-Bitmap (Windows, 256 Farben) oder als TXT-Text. Dann komprimiert sie ohne Informationsverlust als GIF-Bitmap oder als ZIP-Archiv. Jetzt vergleicht die neuen und alten Datei-Größen miteinander und ihr bekommt ein standardisiertes Maß für Komplexität. (Nebenbei: Anders als beim JPG-Format behält ja das GIF-Format die geradezu "kristallin" gleichfarbigen Flächen und Kantenschärfen in den Bildern ohne Verlust bei).

Da diese logischen Kompressionsmethoden über die Jahre immer mehr verfeinert wurden (ohne gleichzeitigen Qualitäts- bzw. Informationsverlust), gibt es auch in Zukunft hierzu wohl noch weiteres zu entdecken.

Guten Abend,
|-|ardy
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