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Traktat über das Gehirn und die (Lebens)Zeit

Thema erstellt von Peter Sinnl 
Beiträge: 4, Mitglied seit 15 Jahren
Traktat über die Zeit

Welche Bedeutung hat das Netzwerk unseres Gehirns? Es sind die Vielfalt aller möglichen Verknüpfungen enthalten und damit alle Voraussetzungen für Wissen, Erkenntnisse usw. vom Anfang der Welt bis zu deren Ende. Diese Vielfalt der Strukturen reicht aus für alle mögli-chen Modellsysteme, mit denen wir unsere „Wirklichkeit“ verifizieren durch die „Meßsyste-me“, die unsere Physis bereitstellt. In diesen Meßsystemen ist ein Effekt bedeutend, der die Verifikation zum „Er“leben benötigt, eine Abfolge, dem Alpharhythmus unseres Gehirns zugeordnet, das „Leuchtfeuer“, mit dem wir unseren Erkenntnisablauf aktivieren.
Die Zeit, die Veränderungen im Raum begleitet, ermöglicht überhaupt eine Orientierung des „Mensch-Seins“, durch die das Leben strukturiert werden kann, die Vergangenheit von Ge-genwart und Zukunft trennt. Unsere Physis ist also aus der Gegenwart durch Rückschlüsse und Annahmen manifest. Treten wir aus der Zeit heraus, dann ist unser Erleben nicht mehr an eine Abfolge gebunden. Wir leben zugleich in Vergangenheit und Zukunft, wobei wir das „Jetzt“ überall ansiedeln können. Hier ist der Zufall eine Beschreibung außerhalb des physio-logischen Erlebens, der nicht durch den Regelkreis eines Ablaufs behindert wird. Das menschliche Leben – der Zellverband - hat kein Alpha und kein Omega außer denen, die uns das Bewusstsein diktiert.


Aus der Sicht der Gegenwart ist jede Zukunft möglich, nach Akzeptanz der Vergangenheit aber nur eine „wirklich“ erreichbar.



Aus der Diskussion

Sehr geehrter Herr Sinnl,
DIESES Thema weckt sowohl Interesse und auch Verständnis bei einem Laien wie mir. Ich bin Kybernetiker und habe mir euere Wortwahl genau angesehen. Es scheint so, als würden verschiedene Personen das EINE Wort Z E I T für mindestens 2, wenn nicht mehr, für unter-schiedliche Definitionen mit unterschiedlichem Sinn verwendet.
Definition 1 = Zeit ist der Überbegriff einer Maßeinheit. Nicht mehr und nicht weniger. (ohne Einfluss)
Definition 2 = Zeit ist eine Dimension, die gemeinsam mit dem Raum eine Arena bildet in der etwas passiert. (ohne Einfluss)
Definition 3 = Zeit ist eine Dimension und nimmt direkten Einfluss auf physikalische Abläufe (mit Wirkung).
Definition 4 = Mit dem Wort Zeit wird die Geschwindigkeit von Bewegung von Materie, von Energie und physikalischen Wechselwirkungen aus beiden bezeichnet ( synonym und ohne Wirkung ).
Liegt es an der Unklarheit der Sprache oder an mir, das mir dies so erscheint? oder ? was ist Zeit nun tatsächlich???
Mit freundlichen Grüssen
Schütz Hans-Joachim - hajo

S.g. Herr Schütz!
Ich freue mich, dass der Beitrag von Hrn. Müller auf ein Thema gelenkt hat, das anlässlich der Hawking-Bücher „Eine kurze Geschichte der Zeit“ und „Das Universum in der Nussschale“ zu den Kernfragen unserer Naturerkenntnis vorstößt. Ich danke für die präzise Abgrenzung der Zeitbegriffe und werde mir erlauben auf diese in meiner Sichtweise einzugehen.

Ich beginne mit zwei Zitaten:
• „Was ist die Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht mehr.“ sagte der heilige Augustinus in seinen „Bekenntnissen“.

Wie sagt Thomas Mann in seinem „Zauberberg“:
• „Was ist die Zeit? Ein Geheimnis - wesenlos und allmächtig. Eine Bedingung der Er-scheinungswelt, eine Bewegung, verkoppelt und vermengt dem Dasein der Körper im Raum und ihrer Bewegung. Wäre aber keine Zeit, wenn keine Bewegung wäre? Keine Bewegung, wenn keine Zeit? Frage nur! Ist die Zeit eine Funktion des Raumes? Oder umgekehrt? Oder sind beide identisch? Nur zu gefragt!“

Zur Definition 1 „Zeit als Maßeinheit“ müssten wir den Messvorgang und das Messgerät beschreiben. Wie macht man die Zeit messbar? Durch sogenannte Uhren, das sind Messein-richtungen, deren Grundlage ein Vorgang ist, der sich in gleicher Weise dauernd wiederholt – die Schwingung eines Pendels oder einer Feder, die Drehung der Erde um ihre Achse und ihre Bewegung um die Sonne, die Schwingung eines Quarzkristalls als Taktgeber, die Atomuhr mit Cäsiumgas, welches durch einen Radiosender mit der Frequenz 9,192631770 mal 10 hoch 9 Hertz (1/s) (1/T) zum Schwingen angeregt wird ... Jeder Wiederholung des Vorgangs ordnet man definitionsgemäß die gleiche Zeit-Dauer = Schwingungsdauer T zu.
Der Überbegriff der gemessen Zeit ist also eine Anzahl (natürliche Zahl) von Schwingungen, der periodischen Vorgänge. Dieser Zeitbegriff lässt sich am ehesten mit der „physiologischen Zeit“ verbinden, die beim Menschen m. E. durch den Alpha-Rhythmus des Gehirns vorgege-ben ist. Sowohl Zeitraffer wie Zeitlupe symbolisieren unterschiedliche Messschritte = Anzahl der Beobachtungen von Änderungen ein und desselben Vorgang. Diese Begriffe haben aber eine physiologische Bedeutung (Alpha-Rhythmus des Gehirns gibt die Anzahl der möglichen Beobachtungen in einer Ereignisfolge an)
Dabei sind die Fähigkeiten des Erkennens am „Moment“ orientiert, der als „Augen-Blick“ so mit dem Sehen zusammenhängt. Dieser Zusammenhang ist in einem Anhang erläutert.
Hier müssen wir auch den Begriff der „Gleichzeitigkeit“ einfügen, der die Schwierigkeiten der Synchronisation von Uhren aufzeigt. Für den Gleichgang der Perioden werden Zeitzei-chen ausgetauscht. Dabei muss entweder
• die Laufzeit der Zeitsignale berücksichtigt werden oder
• die Zeitsignale müssen bei einem in der Mitte zwischen den Laboratorien befindlichen Empfänger zugleich eintreffen.
Weiters werden die Grundprinzipien der Relativitätstheorie unsere durch Alltagserfahrung gewonnene Ansicht über die Zeitmessung wesentlich verändern:
Bewegt sich eine Uhr an einem Satz synchronisierter Uhren vorbei, der in einem Inertial-system ruht, so geht sie im Verhältnis zu diesen Uhren langsamer – eine bewegte Uhr geht langsamer. Das „Tick-tack“ der ruhenden Uhren wird zum „Tiiick-taaack“ der bewegten Uhr. Dabei ist nur die Relativbewegung für diese Zeitdilatation ausschlaggebend.
Zeigt die bewegte Uhr die Zeit t und der Uhrensatz die Zeit tR an, so gilt
t = tR . (1 – v²/c²)1/2
wobei v die Relativgeschwindigkeit zwischen den Uhren und c die Lichtgeschwindigkeit ist.

Definition 2 „Zeit als Dimension“: Zeit erscheint uns wie ein Fließen. Dem griechischen Philosophen Heraklit schreibt man den Ausspruch „Alles fließt“ zu. Er sah in der ständigen Veränderung aller Dinge, also im zeitlichen Ablauf, die grundlegende Eigenschaft der Natur. Etwa zur gleichen Zeit waren dagegen Parmenides und Zeno von Elea (Paradoxie des fliegen-den Pfeils) der Meinung, es gäbe keine Veränderung. Ist Veränderung nicht nur Schein und die Wirklichkeit ewig und unveränderlich? Erst Albert EINSTEIN zeigte in der Relativitäts-theorie ein grundsätzlich neues Zeitverständnis: In der Allgemeinen Relativitätstheorie spielt die Lehre von Raum und Zeit, die Kinematik, nicht mehr die Rolle eines von der übrigen Phy-sik unabhängigen Fundaments. Das geometrische Verhalten der Körper und der Gang der Uhren hängt viel mehr von den Gravitationsfeldern ab, die selber wieder von der Materie er-zeugt sind.
Im Schwerefeld gehen die höherliegenden Uhren schneller.
Ich darf nochmals die zugehörige Formel anschreiben:
tg = g . H . t . 1/c2 ... nach der Zeit t geht eine Uhr in der Höhe H um diese Zeit vor im Ver-gleich zu einer Uhr am Boden.
Dieses Gesetz gilt auch für konstant beschleunigte „Raumschiffe“ ... träge Masse = schwere Masse (vereinfacht!).

Die Zeit als Maßstab für die Entwicklung des Universums ist eine Raum-Zeit. Sie beschreibt den Verlauf der Entwicklung des Kosmos von der Urknall-Singularität etwa 15 Milliarden Jahre in die Gegenwart. Hier verweise ich auf Stephen HAWKING „Das Universum in der Nussschale“ S. 77 ff In dieser Form beschreibt die Zeit deterministische Gesetze, die die Be-schreibung physikalischer Theorien des Mikro- und des Makrokosmos verbinden sollen. Hawking beschreibt darin in anschaulicher Weise, dass das „anthropische Prinzip“ – die Din-ge, die wir beobachten sind zumindest teilweise so wie sie sind – auch dann gilt, wenn wir (nach Richard FEYNMAN) alle „möglichen Geschichten über die Entwicklung = Bewegung durch die Raumzeit eines Teilchens des Mikrokosmos“ annehmen können. Unsere Wirklich-keit sind also nicht nur „Schatten an der Höhlenwand“ (Platon), sondern eher „Falschfarben-Fotografien“ der Realität.

Hier möchte ich auf meine Stellungnahme zum Thema „Bewusstsein“ verweisen: http://www.wissenschaft-online.de/artikel/574402

Nach Meinung der Kosmologen beginnt die Zeit also in einer „Singularität“, in der es keine Ereignisse gibt, die irgendwie denen unserer Raum-Zeit gleichen. Selbst wenn diese Zeit-spannen gemessen an denen der kosmischen Weiterentwicklung verschwindend gering sind, können sie auch die Ewigkeit bedeuten. In diesen Singularitäten sind alle folgenden Ereignis-se als Möglichkeit enthalten, wie auch in den bestehenden Singularitäten (schwarze Löcher) alle Ereignisse „zusammenfallen“.
Hier möchte ich einen bescheidenen Versuch wagen, die Gedanken von Stephen HAWKING weiterzuspinnen. Wir wissen von den Singularitäten in den Zentren der Galaxien. Wie, wenn unser Universum in seiner Entwicklung auch wieder aus vielen Schwarzen Löchern in eine „Ur-Singularität zusammenfällt“ - wäre dann nicht Alpha = Omega?
Betrachten wir unsere Welt nach dem „schwachen anthropischen Prinzip“ als eine Welt der Strukturen zwischen Determinismus und Chaos, dann sind diese Strukturen auch ein Bestand-teil der Entwicklung des Universums – allerdings ohne Wirkung auf seine Raum-Zeit. In einer Singularität können aber vielleicht Strukturen gewisse Möglichkeiten wahrscheinlicher ma-chen.
Anstelle dieses Thema weiterzuverfolgen und in den Geruch paranormaler Spintisiererei zu kommen, möchte ich gerne eine humorvolle Anmerkung aus einem Physikvortrag von Roman SEXL (Prof. an der Universität Wien für allgemeine Relativitätstheorie und Kosmologie, gest. 1986) ergänzen: Die Dichte eines Gespenstes ist mathematisch zu bestimmen im Bereich ...
1. Die Dichte muss so gering sein, dass das Gespenst durch dichte Materie diffundieren kann.
2. Die Dichte muss so groß sein, dass das Gespenst nicht durch den Lichtdruck davon getra-gen wird. Ob die Parapsychologen wohl damit etwas anfangen können?!
Prof. Sexl war ein typischer Österreicher (ein Phäake) – und besaß die Gabe, komplizierte physikalische Vorgänge verständlich darzustellen.
Die Studie von Hawking`s Buch hat mich auch zu einer weiteren Überlegung angeregt:
1. Gravitationsfelder (Universum und Singularität) sind die Vorraussetzung für Felder mit Wechselwirkungen z. B.: Die Beschleunigungsfelder ergeben Wechselwirkungen als Massenveränderungen. Durch Beschleunigung wird eine Masse ortsverändert. Massen wirken aufeinander durch ihre Raumzeit-Krümmung. Im Gravitationsfeld gibt es Kraftfelder z. B. für die Trägheit, den Elektromagnetismus usw.)
2. Gravitation ist ein Feld ohne Wechselwirkungen.
3. Die Auswirkungen der Gravitation sind Ereignisse (z.B. Materie, Energie)
4. Wenn die Gravitation unendlich groß ist, ist die Masse unendlich und die Zeit Null (schwarzes Loch? vor Beginn des Universums).

Gravitation ist ein Feld, in dem die Wechselwirkung primär Null ist. Das Feld breitet sich aus, dann ist darin ein Strukturwandel (= die Raum-Zeit) abzählbar unendlich. In diesem sich aus-breitenden Feld haben Ereignisse eine Masse = Wechselwirkung mit dem Gravitationsfeld, eine Aufenthaltswahrscheinlichkeit, daher einen Ort und eine Bewegungsgröße ... sie existie-ren.
Die größte Ausbreitungsgeschwindigkeit (z. B. die Lichtgeschwindigkeit im massefreien oder massearmen Raum für Ereignisse ohne Ruhemasse) ist eine Konstante für den Ereigniszu-stand. Sie bestimmt den Verlauf, Ablauf, Folge = die Zeit, in der Ereignisse zur Wechselwir-kung gelangen. Die Gleichzeitigkeit der Ereignisse ist ihr Aufenthaltsraum, die Gegenwart. In der Gegenwart ist das Universum endlich.
Jede Singularität strebt auf die Masse unendlich zu, auf eine Kugel mit dem Radius des Wir-kungsquantums - ohne Bewegung, daher ohne Zeit. Dort ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit = Signalgeschwindigkeit unendlich. In der Singularität werden alle Wechselwirkungen gleichartig (oder gleich?).

Gleichförmigkeit = gleichbleibende Wechselwirkungen ohne Auswirkungen in den Parame-terstrukturen des Feldes.
Gleichmäßigkeit = Verhältnistreue, gleiche Maße,
Periodizität = wiederkehrende Größenverhältnisse in gleichem Takt (Zeitabschnitt)
Aperiodisch = Wechselwirkungen im gleichen Parameterfeld
Dauer = abzählbare Ereignisse der Raumzeit aus der Vergangenheit (determiniert) in die Gegenwart (determiniertes Chaos). Die Zukunft ist ungewiss, aber beeinflussbar. Die Ver-gangenheit ist gewiss und determiniert.

Bei diesen Vorstellungen müsste ich mich gegenüber Kosmologen behaupten, dazu reichen aber meine Kenntnisse nicht aus. Vielleicht sind auch logische Trugschlüsse darin enthalten? Vielleicht hat jemand das Buch von HAWKING besser verstanden?! Aber es ist nun einmal gesagt.

Vielleicht ist die Zeit auch nur eine „Methode“ unseres Netzwerks Gehirn, in einem unan-schaulichen Kontinuum gemeinsam mit den Begriffen Raum, Ort und Ortsänderung eine Fol-ge des Erlebens zu ermöglichen, eine Teilung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die der Problemlösungs-Maschine „Mensch“ Handlungsspielräume gestattet. Darin haben Identi-tät, Bewusstsein, Wirklichkeit eine Funktion der reflektiven Zuordnung von so genannten „Ereignissen“.
In der Gegenwart ist unser Meß- und Regelsystem wirksam. Vergangenheit enthält alles, was unsere mensurable „Wirklichkeit“ betrifft, Ereignisse, mit denen wir die Zukunft ermessen, beschreiben, voraussagen und erhoffen möchten.

Meditation über die erlebte Zeit.

Zwischen uns und der Zeit besteht eine Art tiefer und widerspruchsvoller Missklang: über ihre Flucht trauern wir; steht sie jedoch still, ersticken wir. Wir wissen nie so ganz, ob sie zu schnell oder zu langsam vergeht, und doch fehlt uns der Atem, indem wir sie zurückzuhalten oder vorwärts zu treiben versuchen.

Nie ist die Zeit müde, neue Möglichkeiten des Lebens zuschaffen, wobei sie Wesen, Lügen, Sünden, in ihrem seltsamen Nichts begräbt. Die Zeit heilt alles, sagt man. Nach und nach - eher rasch - gelingt es ihr, verweigertes Vergeben durch Vergessen zu ersetzen. Sie nutzt die Trauer, die verlorene Hoffnung, ab. Sie überwuchert die Grabmäler. Sie wiederholt, im menschlichen Gedächtnis, durch Vergessen, die wohltuende, immer erneute Reinigung, durch die die Natur - wo «alles alles frisst» -, zu jeder Stunde die Spuren ihrer Leichen und Skelette verschwinden lässt. Trotz der Epen und Fabeln, trotz der Geschichte, und sogar durch sie hin-durch, breitet sie über das Gewesene die schläfrige Distanz ihres Nichts. Warten, hoffen, glauben, werden wieder möglich. Das Leben lebt wieder auf, fängt wieder an.

Und doch nicht ganz. Diese Morgenröte ist nicht die erste. Irgendwo, in der neuen Stille, hört etwas, jemand, eine zahllose Menge, nicht auf zu stöhnen.

Das ist die Vergangenheit. Es ist vergangen. Es ist nicht mehr. Es gibt sie nicht mehr, diese Tage und Nächte; diese Jahre, Jahrhunderte, Minuten, Augenblicke; jene Kämpfe, Tränen, jenes Blut, die Lager, Gefängnisse; jene Bälle und Feste, Träume; jene Lebenden. Es gibt sie nicht mehr.

Und doch: wozu studieren die Geschichtsschreiber alte Dokumente unter der Lupe, wozu beugen sich die Archäologen über Bruchstücke von Keramik oder geschliffenem Stein? Wozu soviel Mühe und Arbeit, unter der Sonne oder der Lampe, um der Wahrheit näher zu kom-men, die gewesen ist? Wenn das Gewesene, die Gewesenen, nichts mehr sind - warum kann man dann nicht einfach irgendetwas über sie sagen? Ist es nicht so, dass es im Nichts Raum gibt für irgendetwas?

Selbstverständlich gibt es irgendwo, bei Einigen, ein Rest von Erinnerung. Es handelt sich aber nicht in erster Linie um Erinnerung. Es geht auch um das, dessen Erinnerung verlorenge-gangen ist, vollständig verloren, und sogar um das, was bleiben wird, wenn es einmal kein Gedächtnis mehr geben wird, wenn wir einmal alle tot sind. wenn diese Erde aufgeh6rt haben wird, im Ablauf der Tage und Nächte, das Leben durch den Tod, und den Tod durch das Le-ben zu nähren -weil sie in Stücke aufgeflogen, eisig oder glühend geworden ist. Oder weil Luft, Wasser, Wolken verlorengegangen sind. Dann wird es niemanden mehr geben, um die Zeit der Erde durch Sehnsucht oder Begierde, zu erleben.

Und dennoch, selbst «dann», - was wird dann «dann» bedeuten? - sogar «dann» werden sie, die jemals gelebt haben, noch immer gelebt haben, die gestorben sind, werden noch weiter gestorben sein; und niemand - kein Gott, kein Teufel, kein Zauberer, kein Gelehrter - wird die Macht haben zu erwirken, dass das Meer, hier vor mir, heute früh, in der Sonne nicht gefun-kelt hat.

Das Seltsamste ist, dass niemand es zu ahnen scheint, und doch: niemand bezweifelt es. Auf eine bestimmte Weise, in einem gewissen Sinn, besteht dieser Morgen für immer.

Nur Zeit gibt es. Es gibt keine Zeit.

Kein menschliches Wesen weiß, was die Zeit ist; kein Wesen vermag ihr zu entfliehen durch irgendwelche Vorstellungen oder Gedanken. Es gibt jedoch ein Wort in der Sprache, das ver-sucht, jenseits der Zeit einen Sinn zu haben: das Wort Ewigkeit. Sobald aber dieses Wort ge-braucht wird, ist die Zeit auch da, neben ihrer Negation und von ihr keineswegs durchdrun-gen, keineswegs in etwas anderes verwandelt. Oder dann ist die Ewigkeit die Zeit selber, in eine endlose Dauer übersetzt, als ob der Tod nichts Wesentliches an der Undurchsichtigkeit des Überlebens ändern würde.

Der Mensch tastet, ohne vorwärts zu kommen, unter diesen unauflösbaren Widersprüchen, die allein es ihm gestatten, das zu sein, was er ist: ein menschliches Wesen. Ohne das Zerfließen der Zeit, ohne das Werden der Geschichte, ohne die Vergänglichkeit, ohne den Tod, könnte er nicht handeln. Er wäre weder unschuldig, noch schuldig. Er hätte keine Existenz, im mensch-lichen Sinne des Wortes. Es stände für ihn nichts auf dem Spiel. Aber beim Erleben des Zer-fließens, des Werdens, des Vergänglichen und der mittelbaren Drohung durch den Tod, hat er oft das Ge- fühl, dass die Folgen seiner Taten, das Gewicht seiner Gegenwart, gerade dadurch verloren gehen, und er sich in einem Nichts, das tiefer ist als das Sein, selbst auflöst.

Grundlegender und entscheidender als Charakter, oder Gefühle, oder Meinungen, oder Be-kenntnisse, ist in jedem Menschen gerade die Art wie er sich zur Zeit verhält, die zerfließt oder besteht; zu ihrem Auftauchen, ihrem Vergehen, ihrer Dauer. Für den einen ist das, was er eben durch sein Erleben im Jetzt der Stunde eingraviert hat, schon dabei zu verschwinden, und vor seinen Augen wird das beschriebene Blatt immer wieder von neuern weiß. Für den anderen gibt es überhaupt nichts, was dieses Erlebte zunichte machen kann, und es wird ihm bis in den Tod folgen.

Deshalb sind wir, unaufhebbar, der Zeit gegenüber, Verbündete und Feinde zugleich.

Und trotzdem kann keiner von beiden, außer wenn er dabei ist, den für das Leben unentbehr-lichen gesunden Menschenverstand zu verlieren, jene Wahl in ihrer Schärfe treffen, denn sie kann sich der Annäherung, dem Kompromiss, der Vermengung,
nicht entziehen. Selbst in unserem logischen Denken ist es die Aufeinanderfolge der Gedan-ken, im Zerfließen der Zeit, die es uns erlaubt, das Widersprüchliche nicht einfach als Un-möglichkeit abzutun, sondern als Zeichen zu nehmen für das, was in unserem Sein und in unserem Glauben sich jedem logischen Verstehen entzieht.

Feinde: alles was wir schaffen, lieben, alles was wir sind, ist nicht nur bedroht - sondern schon jetzt vom Zerfließen unterhöhlt. Exegi monumentum aere perennius, schrieb der Dich-ter Horaz, als er seine Oden jenem unaufhaltsamen Grünspan zu entziehen versuchte, dem selbst Erze nicht standhalten. Deswegen sind wir unterwegs auf der Suche nach Dauer, in all ihren Gestalten, auf allen Gebieten: in den Heldentaten, die durch ihren Glanz unvergesslich werden könnten; in unzerstörbaren Rohstoffen; in einem Ruhm, den man sich treu wähnen möchte, - oder sogar indem man selbst mit seinen Werken bei der Transzendenz Gottes als einzig unvergänglicher Zuflucht sucht.

Verbündete: die Zeit selbst, die Zeit allein, ist unvergänglich. Das einzig Mögliche ist, ihr nachzugeben, sich auf sie zu verlassen, damit es nichts Unheilbares gäbe; Schließlich entsteht doch eine Ordnung, Wunden heilen, Konflikte lösen sich, weil sie durch das Vorbeigehen der Zeit verblassen oder sich ändern. Ihr verdanken wir es, dass es nichts Absolutes gibt.

Oft hat man gedacht, dass wahres Sein dem fehlt, was vergeht. So fühlte Horaz in dem eben zitierten Vers. Wir moderne Menschen aber sind geneigt zu glauben, dass nur wahr ist, was vergeht; nur was vergeht, ist. Denn nur das Abstrakte vergeht nicht. Wir selbst hören nie auf zu altern und zu vergehen, solange wir am Leben sind. Vielleicht hört unser Vergehen auf, wenn wir tot sind.

Also richten wir uns in der Zeit ein und fangen mit ihr einen seltsamen Wettlauf an, der Ge-schwindigkeit heißt. Die Zeit hilft uns, den Raum zu verstehen, die Distanz zu überwinden, die Abwesenheit zu schlucken, eine Art Allgegenwart bis zum Schwindel zu genießen. Man-che träumen sogar davon, durch die Geschwindigkeit die Zeit einzuholen. Vergessen ist dann der Ehrgeiz eines endgültig bestehenden Werkes, das wie eine Beherrschung der Zukunft wä-re. Worauf es ankommt ist nun, durch Geschwindigkeit, im flüchtigen Augenblick eine Spur zu hinterlassen, die der nachfolgende Augenblick auslöscht, was eine weitere Beschleunigung zu versprechen scheint.
Unser Jetzt erleben wir in jener «kleinen Dauer», durch die, trotz der zerfließenden Zeit, das Sein uns begleitet. Das Sein bleibt mit uns im Herzen der zerfließenden Zeit. Eine kleine Dauer, die so dicht ist, dass unser Schicksal darin absolut auf dem Spiel steht, in einer un-barmherzigen Wirklichkeit, die so ist, wie sie ist, und wo keine Erinnerung jemals durch das Gedächtnis wieder gegenwärtig werden, und keine Hoffnung je eine Erwartung erfüllen kann, zufolge des unüberwindlichen Unterschieds, der zwischen «dem was ist», und «dem was nicht mehr ist», oder «dem was vielleicht sein wird», besteht. Jene kleine Dauer, die sich doch an ihren Enden in Vergangenes und in Zukünftiges zerfranst, ohne je etwas von ihrer uner-schöpflichen Gegenwart zu verlieren - eine vermenschlichte Miniatur der Ewigkeit.

Infolge dieser kleinen Dauer spielt sich unser Leben in einer Welt ab, mit ihren Widersprü-chen, Möglichkeiten, ihren Einsätzen. Ihretwegen können wir handeln, genießen, schaffen, das Leben leben und den Tod erwarten. Und weil sie sich nach der Zukunft hin zerfranst, ha-ben wir Möglichkeiten, verfügen wir über einen Freiraum. Und weil sie zur Vergangenheit hin sich ausfranst, hört diese nie auf - ohne dass wir verstehen, wo, noch wie -, das Sein des Gewesenen zu bewahren.

Dank dieser kleinen Dauer ist es nicht nur ein Traum, wenn wir wähnen, freie, verantwortli-che, sterbliche Menschen zu sein. Frei und unabhängig. Nie sind wir die Herren. Aber auch nie Dinge oder Tiere.

Das ganze bewusste Leben des Menschen ist eine Auseinandersetzung mit der Zeit, in der sich die Widersprüche durchkreuzen. Er kann ja weder im Bestehen, noch im Zerfließen le-ben; weder mit der Zeit, noch ohne sie.

Dem Zerfließen verdankt er das mögliche Verwischen des Unerträglichen und die Fähigkeit, das Notwendige und Wünschenswerte zu erhoffen. Ihr verdankt er neue Anfänge, durch die das leere Blatt, der reine Tisch, erneut zur Verfügung stehen. Ihr verdankt er die möglichen Geburten und Wiedergeburten, und auch die endgültigen Herausforderungen der Verzweif-lung.

Gleichzeitig wirft das Zerfließen auf alles Dasein die Unbeständigkeit des vergänglichen, wo-durch alles im Schatten eines künftigen Nichts und unter dem Verdacht der Sinnlosigkeit steht.

Gegen den Tod, gegen die Wesenlosigkeit, gegen die Angst vor dem Nichts, sucht der Mensch im Bestehenden Zuflucht. Er bemüht sich, Werke zu schaffen, die von ewiger Dauer wären, die weiter wirken ohne ihn, nachdem er, Opfer des Zerfließens, tot sein wird.

Etwas was sich der Herrschaft der Zeit entzieht, entweder indem es die Zeit zu einem ewigen Augenblick durchbohrt, oder indem es in einer endlosen Dauer bestehen bleibt. Gegen die Zerbrechlichkeit des Zeitlichen sucht er dieWahrheit, die Kohärenz, die Widerspruchslosig-keit, das „Un-Zersetzliche“, das Einfache. Er sucht Zuflucht bei dem, was der Zeit widersteht oder ihr gleichgültig ist, die härtesten Materialien, die Mathematik, die Meisterwerke, - die Dichte «des Selben», ohne jede Vermischung mit «dem Anderen», eine Fülle im Stau.
Dann aber erstickt der Mensch, mangels des Möglichen. Ihm fehlt der Mangel, also der Sinn, die Atemluft zum Denken und zum Leben. Er erstickt in der Langeweile.
Dann bleibt ihm nichts anderes als die Zuflucht zu der Zeit, die ihm zu eigen ist, von der er nichts versteht, und die allein es ihm ermöglicht, mit seinen Widersprüchen zu leben: jene Zeit, mit ihrer Vergangenheit, die besteht; mit ihrer Zukunft, die es ihm ermöglicht, ein freies Wesen zu sein, bevor er selber zu einer Vergangenheit wird; mit ihrer Gegenwart, Herz der zerfließenden Zeit, die aber selbst nicht zerfließt. Jene undurchsichtige Zeit, die er jeden Tag seines Lebens in ihrer Offensichtlichkeit erlebt, in ihrer Unmöglichkeit, in ihrer klaren Imma-nenz, die eine un- begreifliche Ewigkeit ausschließt und doch enthält.
Darin leben. Darin Geschichte ertragen und aufbauen, in jener allein wirklichen Gegenwart, die er sowenig versteht wie die Ewigkeit selbst. In jener kleinen Dauer, wo sein Schmerz, sein Glück, seine Freiheit, sein Wesen, auf dem Spiel stehen, und die ihn bis zum Tode begleitet.
Bis jetzt habe ich nur von den Verhältnissen gesprochen, die der Mensch als solcher, bewusst oder unbewusst, mit seiner erlebten Zeit unterhält, selbst wenn er nie daran denkt. Ich habe versucht, diese Gegenwart der Zeit in dem Menschsein zu erblicken, ohne diese Verhältnisse selbst als Zeugen herbeizurufen, ohne die geschichtliche, materielle und kulturelle Umwelt heranzuziehen, in der die Menschen sich, an einem bestimmten Ort, in einer bestimmten Epo-che, befinden. Wir müssen aber feststellen, dass diese Verhältnisse, in unserer Zeit und im Westen, ein solches Gewicht und einen solchen Einfluss auf uns gewonnen haben, wie es bis-her noch nie der Fall war. Der alte griechische Weise, der als erster den Ausspruch getan hat, «PANTA RHEI», tat es in einem unvergleichlich ruhigeren Umfeld als das unsrige es heute ist.
Erstens begnügte er sich damit, das universelle Zerfließen festzustellen; er und seine Zeitge-nossen konnten nichts dafür. Nun aber haben sich die Veränderungen, die die Menschen selbst in ihre Welt eingebracht haben, und für die sie verantwortlich sind, so ungeheuerlich beschleunigt - sowie auch die weiteren Veränderungen, die sich aus den ersteren ergeben und die sie mit wenig Erfolg versuchen, durch eine prospektive Wissenschaft zu erfassen, - dass dem «PANTA RHEI» eine ganz andere Dimension, eine ganz andere Tragweite, und vor al-lem eine ganz andere Bedeutung zukommt, gerade weil sich der heutige Mensch dafür ver-antwortlich fühlt.

Es ist eine seltsame Entwicklung, in sich widerspruchsvoll, wie die Zeit selbst. Die Menschen unserer Zeit sind geneigt, jede Verantwortung, jede Schuld, die aus der Erbsünde hervorge-gangen ist, abzustreiten und sie durch die Unschuld ihrer wissenschaftlich erforschten Welt zu ersetzen; da sind sie selbst nicht nur physischen, sondern auch biologischen, psychologischen, sozialen Gesetzen unterworfen, die nicht nur die Natur regieren, sondern ihre eigene Ge-schichte, ihre Gesellschaft und sogar ihre Seelen. Wegen der neuen Macht, die ihnen nun aus den unvorhersehbaren Entwicklungen der Wissenschaft und Technik erwächst, sehen sie sich einer neuen Verantwortung gegenüber, nicht nur für die Zukunft des menschlichen Ge-schlechts, sondern sogar des Lebens überhaupt, der lebenden Gattungen, und der Erde selbst. Es ist nicht erstaunlich, wenn sie erschrecken, und wenn das «PANTA RHEI» für sie vielfäl-tige, neue Bedeutungen gewinnt. Ein solcher Schrecken, dass sie sogar bereit sind, Wissen-schaft und Technik, die Generationen, denen sie dafür verpflichtet sind, die ganze Zivilisati-on, zu verfluchen.

Sprechen wir zuerst von der Erde und dem Universum. Die Geschichte ihrer Umwandlungen in der Sprache der Mythen und der Wissenschaften, hat das Denken und die Vorstellungskraft der Menschen von jeher fasziniert. Sie haben durch zahlreiche indirekte Methoden zu verste-hen versucht, wie die Erde und das Universum sich ständig verwandelt haben, in immer wei-teren und unvorstellbaren Ausmaßen des Raumes und vor allem der Zeit. Indem sie die gleichbleibenden Gesetze entdeckten, die die Stabilität der Natur sicherstellen, haben sie die langsamen Veränderungen und die plötzlichen Umwälzungen der materiellen Welt erklären wollen und auf diese Weise deren Geschichte erzählen. Und diese Erzählung, mit ihren Hypo-thesen, wurde dadurch gerechtfertigt, dass sie schließlich zum jetzigen Zustand des Univer-sums führte, zur konkreten Welt, in der sie lebten und wo sie ihre Erfahrungen machten.

Nun kam die Zeit wo sie sich selbst, dank der technischen, aus ihrem neu erworbenen Wissen abgeleiteten Verfahren, als Verursacher neuer Verwandlungen ihres Universums entdeckten - von Verwandlungen, die vielleicht bedrohlich sind und deren Verantwortung sie selber zu tragen haben. Ihretwegen scheinen Wasser, Luft, Pflanzenwelt, Ozonschicht, Tiergattungen, Klimaverhältnisse, Veränderungen zu erleiden, deren Wirkungen, wenn auch teilweise vor-aussehbar, in ihren Ausmaßen unbestimmt bleiben, -selbst dann, wenn die künftige, in Be-tracht gezogene Zeitspanne recht kurz ist. Sie erschrecken, und ihre Angst ist umso größer als sie rational und irrational zugleich ist: rational, indem sie auf teilweise wissenschaftlichen Feststellungen beruht, Messungen, Expertenberichten, irrational, insoweit sie sich auf eine ferne Extrapolation eben jener Messungen und Feststellungen gründet. Ein Gefühl tiefer Ohnmacht erfasst nun die Menschen, als wären die neu erworbenen Möglichkeiten der Tech-nik von nun an unabhängig von menschlichen Entscheidungen, so dass sie zu Instrumenten eines neuen, blinden Schicksals würden. Im Bereich des Lebens gelingt es der Molekularbio-logie gleichzeitig, durch eine einzige Entdeckung, die sich wiederholende Reproduktion der Individuen einer gegebenen Gattung und das Entstehen neuer Arten zu erklären. Von nun an wird es möglich, in den Prozess selbst der Entstehung der Gattungen technisch einzugreifen, und neue Arten entstehen zu lassen. Diese neue Macht stellt an den Menschen neue Fragen. Freilich ist es bei ihm eine alte Gewohnheit, die von ihm bewohnte Erde umzugestalten, so-dass sie schon längst derjenigen nicht mehr gleicht, auf der Adam und Eva zu arbeiten ange-fangen haben. Er hat aber das Gefühl, dass es jetzt um etwas anderes geht, um Eingriffe ande-rer Art. Es ist für ihn fast unmöglich zu sagen, worin dieser Unterschied besteht, jedoch am Unterschied selbst zweifelt er nicht.

Als Adam und Eva arbeiten mussten, übernahmen sie zugleich die Aufgabe, die Oberfläche der Erde zu verändern, um sie reicher und fruchtbar zu machen, und die Verantwortung für das Überleben der Gattungen aus der Arche Noah. Verwandlung und Schutz waren wie zwei Seiten in der Verwirklichung eines noch unfertigen göttlichen Planes, welcher im Übrigen von jeher unvorhersehbar war. Jedoch schienen die Gattungen ein für allemal gegeben, durch die Wiederholung von Geburt und Sterben. Während die technisch programmierte Erschei-nung eines Ziegen-Schafes, trotz der Fabeln und Drachen, wie ein neuer Ungehorsam und eine leibgewordene Gotteslästerung wirkt.

Und wenn dies alles nur ein Trug der Einbildungskraft wäre? Wenn es sich da vielmehr um eine fortlaufende Entwicklung der Arbeit der ersten Menschen handelte? Von Gott voraus-sehbar? Wenn es in dieser Veränderung nichts Radikales gäbe, keine Vergewaltigung eines heilig Gegebenen?

Die Frage kommt dem Menschen noch viel näher, wenn sie sich nicht mehr auf das, was er macht, bezieht, sondern auf das, was er, in der Zeit und Geschichte- ist. Bleibt er, trotz der anscheinend radikalen Veränderung der Geschichte, dieser denkende, arbeitende und ent-scheidende Mensch, in der Schwebe zwischen Gehorsam und Aufstand, oder ist er dabei, sich ein Alibi zu schaffen durch eine technische Programmierung, die ihn von den Verpflichtungen seines Menschseins befreit? Wäre er eines Tages, dank der Technologie, befreit, einerseits, von den Zufällen der tierischen Natur, andererseits von den Entscheidungen, in denen Gut und Böse einander bekämpfen, dann wäre dies die letzte Verwandlung jenseits derer weder Zer-fließen, noch Bestehen Sinn hätten, mangels einer in der Gegenwart erlebten Zeit. Die Zeit der Menschen wäre dann genauso undenkbar wie die der Natur, die des schmelzenden Zu-ckers, die des Tropfens, der den Stein höhlt. Diese Zeit hätte nur eine Dimension und kein Zentrum. Sie wäre diejenige, in der eine elektronische Maschine funktioniert. Mit dem Ver-schwinden des Menschen verlöre auch der Gegensatz des Zerfließens und Bestehens seinen Sinn.

Eines Tages hörte ich einen bedeutenden Informatiker seine Betrachtungen mit folgendem Satz schließen: «Wir werden uns daran gewöhnen müssen. es mit Wesen zu tun zu haben. deren Denkvollzüge den unseren weit überlegen sein werden.»
Ich hielt ihm entgegen: «Ich will gerne glauben, dass die elektronischen Apparate viel schnel-ler als wir viel kompliziertere Vollzüge ausführen. Es werden aber nie Denkvollzüge sein.» Er wurde ungehalten. « Woher wissen Sie das?» Und ich: «Weil es mir manchmal passiert ist, zu denken. Aus Erfahrung weiß ich, dass denken bedeutet, auf etwas Wahres hinzuzielen, und Falsches vermeiden zu wollen. Und dazu ist Ihre Maschine nicht fähig. Sie will nichts, sie zielt auf nichts hin. Sie ist programmiert. Aber sie denkt nicht.»
Das ist ein grundlegender Unterscl1ied, der durch alle Verwandlungen hindurch wie ter be-steht, und den nichts ändern kann, wenn nicht durch das Verschwinden des Menschen selbst. Die Menschen sind es noch immer, und nicht die elektronischen Apparate, die die technischen Methoden wählen, durch die dann die Rhythmen ihres Denkens und die Modalitäten ihrer Entwicklung verändert werden. Was wir uns fragen können, und vielleicht müssen, ist, bis zu welchem Grad die Werte und Kriterien, die diese Wahlleiten, im Laufe der Geschichte selbst beständig oder veränderlich sind.

Hier müssen wir noch einmal das Verhältnis vom Menschen zur Geschichte erwähnen.

Zunächst ist der Mensch, in der Geschichte und in der Welt, durch die Zeit seiner Geburt und dem Ort, wo er lebt, situiert. Zeit und Ort bestimmen, was er ist, und im Verhältnis dazu ent-scheidet er weiter, durch seine Freiheit, was er sein wird. Wie alle Gegebenheiten seines Menschseins, können diese weder verneint noch vernachlässigt werden, ohne dass die tatsäch-lichen Möglichkeiten, die sich ihm bieten, gleichzeitig zerstört werden. Es gibt zwei extrem entgegengesetzte Arten, diese Zerstörung zu vollziehen: die eine besteht darin, den Menschen im Verhältnis zu einem ewigen Bestehen aufzufassen, als wäre dies für ihn das einzig Absolu-te; die andere besteht darin, den Menschen ganz in den sich verändernden und relativen Ge-gebenheiten der Geschichte aufzulösen, sodass seine Handlungen nur noch Phänomene wä-ren, einfache Glieder in den Ketten von Ursache und Wirkung. Im ersteren Fall gibt es im Wesentlichen nichts, was sich verändert oder zerfließt. Im zweiten, gibt es nur Veränderung und Zerfließen.
Die menschliche Freiheit aber verwirklicht sich nur in der real vergehenden Zeit, und in deren Kreuzung mit einer absoluten Senkrechten, wo nichts vergeht, wo alles für immer besteht. Ohne diese Kreuzung gibt es nur dies: entweder zerfließt nichts- und nichts geschieht; oder alles zerfließt, und nichts von dem was zerfließt, besitzt irgendein Gewicht in der Waagschale der Freiheit: entweder ein Nichts an Wirklichkeit, oder ein Nichts an Sinn.
jene Kreuzung, wo das Bestehende auf das Zerfließende stößt, und das Zerfließende das Ab-solute aufs Spiel setzt, ist, was die Philosophen die «Geschichtlichkeit» des Menschen nen-nen, d. h. seine unwiderrufliche Zugehörigkeit zum Zerfließen- den und sein Durchbruch in dessen jenseits.

Einer meiner Vordenker hat von Triumph und Tragik des Menschen gesprochen. Er hatte si-cher Recht. Jedoch lebt der Mensch, zwischen Geburt und Tod, meistens nicht im Triumph und nicht in der Tragik, sondern in einem wesentlichen Widerspruch im Herzen der Geschich-te. Indem er tiefer in diese Begriffe eindringt, entdeckt er allmählich, dass dieser Widerspruch für ihn unentbehrlich ist, und dass er ohne ihn kein Mensch sein könnte. Er versucht dann, ihn zu verinnerlichen, um dessen Sinn zu erahnen. Auf diese Weise entdeckt er, in einem sehr starken Sinne, in einer zentralen und wiederholten Erfahrung, die eigene Endlichkeit, ohne die, der Totalität von Natur aus unterworfen, er weder frei noch verantwortlich sein könnte. Er wird schließlich dafür dankbar, dass er die Totalität nicht besitzt, für jene Absage, die es ihm erlaubt, er selbst zu sein. Und statt des Triumphs, statt der Tragik, versucht er, im Laufe der Zeit, die Geduld zu lernen, die die Zeit überquert ohne ihr je zu entfliehen.

Seine erlebte Zeit, zweideutig und unwiderruflich, bedingt seine Existenz als verantwortliches Subjekt. Die Scheinalternative, die ihr der Gegensatz der Futuristen und der Konservativen zu geben angibt, drängt sich ihm auf, unausweichlich und falsch zugleich, denn beide Glieder muss er erleben, das eine durch das andere, das eine mit dem anderen, in jener von Vergäng-lichkeit und Zukunft verdichteten Gegenwart, in der sich für ihn Sein und Sinn begegnen.
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Peter F.H.
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Peter Sinnl schrieb in Beitrag Nr. 1237-1:
... Hier möchte ich auf meine Stellungnahme zum Thema „Bewusstsein“ verweisen:
http://www.wissenschaft-online.de/artikel/574402
Hallo Peter Sinnl,

ein kleiner Hinweis: Der Forenbetrieb bei Wissenschaft-Online ist kürzlich eingestellt worden. Man kann auch keine Beiträge mehr lesen. Das bedauere ich, denn ich habe dort auch etliche Beiträge geschrieben. Dein Link geht somit ins Leere. Der dortige Forenbetrieb ist ersetzt worden durch durch die "Tagebücher der Wissenschaft": http://www.scilogs.de/

M.f.G. Eugen Bauhof

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und der Dumme weiß alles besser.
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Beitrag zuletzt bearbeitet von Bauhof am 22.07.2009 um 11:13 Uhr.
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HALLO Peter Sinnl,
schöner Text, - regt zum Denken an ...

BEI DIESEM GEDANKEN :
Zitat:
Die Zeit, die Veränderungen im Raum begleitet, ermöglicht überhaupt eine Orientierung des „Mensch-Seins“, durch die das Leben strukturiert werden kann, die Vergangenheit von Ge-genwart und Zukunft trennt. Unsere Physis ist also aus der Gegenwart durch Rückschlüsse und Annahmen manifest. Treten wir aus der Zeit heraus, dann ist unser Erleben nicht mehr an eine Abfolge gebunden. Wir leben zugleich in Vergangenheit und Zukunft, wobei wir das „Jetzt“ überall ansiedeln können.
dachte ich an den Traum, bzw. das Phantasieren ... In Phantasie sind wir gottgleich - durch eigene Unendlichkeit.

Die Veränderung im Raum ist = die Zeit, - diese nur im Sprachgebrauch und in unserem Denken bestand hat, anders ausgedrückt:

der Kosmos verändert sich von Moment zu Moment, besser noch er erneuert sich in jedem Moment durch Bewegung.
Nichts ist ("und nur das Nichts") im nächsten Moment noch das Selbe, sondern ein Neues, das dem Vorigen zum verwechseln ähnlich sein kann (Materie).
Es besteht die Zeit aus dem Moment und nur aus diesem, den im nächsten Moment ist Alles ein neuer Moment und der vorige existiert nicht mehr, so wie der darauf folgende noch nicht existiert.
Diese Bewegung ist immer noch die Bewegung des Urknalls, die mutiert ist und aus der anfänglichen Welle die heutige Materie hat werden lassen, die in ihrem Inersten, dem zur Folge, immer noch Welle ist.
Es gibt also nur Welle und Nichts, was mich annehmen läst, dass das Nichts etwas ist, was durch Welle zu Materie werden kann.
Bei dieser gewagten Annahme gehe ich von Möglichkeiten aus, die schon vor dem Urknall existierten, bzw wohl ewig existieren.
Diese Möglichkeiten sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich, man stelle sie sich als den leeren Raum vor, der alle möglichen Möglichkeiten beherbergt.
Der leere Raum wird für uns ja nur durch Materie, die ihn begrenzt, zum Raum. Gäbe es nicht "Etwas" gäb es auch keinen Raum.
Das Etwas füllt aber auch den dazwisch liegenden Raum, wenn er für uns auch leer wirken mag. er ist durchflutet von Wellen unterschiedlicher Art (Licht, Radio, Hintergrund, ...)
Ich stelle mir Möglichkeiten "abstrakt punktartig" vor, die monolit den Hintergrund des gesamten Universums bilden.
Nun kommt es bei Materie zu einem Wirken der Wellen mit den Möglichkeiten, da sonst nichts existiert.
Die mit Lichtgeschwindigkeit sich bewegende Welle umrundet die Möglichkei und bremst dadurch ihr Richtungsstreben aus. (Dillatation)
Das ist der Moment wo Etwas entsteht. da diese Bewegung nicht stehenbleibt, die Position aber auch nicht gehalten werden kann( Gesamtdrift jeder Gallaxie und des Universums) denke ich mir, die Welle springt auf die nächste Möglichkeit über und manifestiert sich erneut. das mag die gleiche Umrundungskonstellation sein, aber dennoch eine neue, sprich der nächste Moment.
Um der Möglichkeit eine einen wissenschaftlichen Namen zu geben, nenne ich sie Calabi-Yau Universum.

http://de.wikipedia.org/wiki/Calabi-Yau-Mannigfalti...
Um der beschriebenen Bewegung der Welle einen Namen zu geben, beziehe ich mich auf den Lorenz-Atraktor.

http://www.math.tu-cottbus.de/INSTITUT/lsam/CompPhy...

http://de.wikipedia.org/wiki/Lorenz-Attraktor

Dieser Moment manifestiert sich als Ouant und ist der Grundbaustein aller Materie und als Ouantum Zeit auch die Bewegung, die die Raumzeit erzeugt.
Der Prozess ist nur viel zu klein, als das wir ihn registrieren würden und viel zu schnell, als das wir ihn messen könnten (E=mc2).

Die Gravitation ist damit allerdings auch noch nicht erklärt, die Erklärung fürs Leben hab ich in MEINE LÖSUNG Beitrag-Nr. 1019-1 versucht.
Diese Sicht der Dinge und der Zeit ist für mich leider nicht mathematisch zu beweisen, da ich nicht das Rüstzeug dafür habe, aber es ergibt sich aus Lektüre und Phantasie zur selbigen, es ist meine Erklärung für das Jetzt, das ewig währt.
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